Selbstversuch

Der Kindheitstraum, einmal selbst eine Straßenbahn zu fahren

Ohne Fahrlehrerin geht es nicht: „Presse“-Redakteur Erich Kocina steuert eine E2-Garnitur der Wiener Linien.
Ohne Fahrlehrerin geht es nicht: „Presse“-Redakteur Erich Kocina steuert eine E2-Garnitur der Wiener Linien.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Eine Garnitur der Wiener Linien über die Schienen zu steuern ist auf den ersten Blick gar nicht so schwierig – zumindest bei einer Testfahrt ohne Kundenkontakt. Aber ein bisschen Ehrfurcht darf schon dabei sein, wenn man mit einem 40-Tonnen-Gerät durch die Stadt fährt.

Wien. Kupplung, Bremse, Gas. Von links nach rechts. Der erste Gedanke beim Hinsetzen täuscht, denn die drei Pedale am Boden der Fahrerkabine wird man in den kommenden Minuten kein einziges Mal wirklich brauchen. Gut, die mechanische Warnglocke am linken Pedal, die tritt man schon ein bisschen. Fühlt sich von hier aus jedenfalls besser als im Auto an, das ein bisschen zu weit in die Kreuzung gefahren ist und der Straßenbahn im Weg steht.

Die Straßenbahngarnitur des Typs E2 ist seit 1978 in Wien im Einsatz, etwa Mitte der 2020er-Jahre werden die alten roten Trieb- und Beiwagen ausgemustert. Über die Schulter geschaut hat man den Fahrern ja schon öfter, aber selbst am Fahrerstand Platz zu nehmen ist dann doch noch einmal etwas anderes. Immerhin bewegt man hier ein 40-Tonnen-Gerät. Zwei Gleichstrommotoren leisten insgesamt 300 kW und können die Garnitur auf bis zu 70 km/h bringen – theoretisch noch mehr, nur wird dann automatisch abgeriegelt. Praktisch fährt man im Stadtverkehr meist maximal 50 km/h, eher weniger. Auf manchen Strecken, etwa auf der langen Geraden entlang der Mauer des Zentralfriedhofs, sind 60 km/h erlaubt.

Wer allerdings erwartet, dass man dafür alle Hände – und Füße – voll zu tun hat, wird enttäuscht. Gesteuert wird über einen kleinen Hebel auf der linken Seite. Nach vorn drücken bedeutet Gas geben, nach hinten ziehen bremsen. Die Beine werden irgendwo am Boden abgestellt. Nun weiß man auch, warum der rechte Arm der Straßenbahnfahrer immer so lässig über die Seitenlehne hängt. Gut, sie haben auch 57 Ausbildungstage hinter sich, ehe sie allein eine Garnitur im Verkehr bewegen dürfen.

Es fühlt sich gar nicht so spektakulär an. 60 km/h auf einem eigenen Gleiskörper, kein Querverkehr. Kann doch nicht so schwierig sein. Allein, eine Testfahrt ohne Kundenkontakt ist doch etwas anderes. Im innerstädtischen Bereich, wo Autos, Radfahrer und Fußgänger mit der Straßenbahn um den Platz rittern, muss es heftig sein. Und es braucht doch auch Routine, dass nicht während der Fahrt plötzlich das Totmannsignal ertönt – der Steuerungshebel muss immer nach unten gedrückt werden. Falls etwa ein Fahrer ohnmächtig würde, bliebe der Wagen dann gleich stehen.

Eine brenzlige Situation ist auch eine Notbremsung – vor allem für Passagiere, die in diesem Moment nicht damit rechnen. Als Fahrer bleibt man ungewohnt sicher im Sitz, wenn man mit einem Bremsweg von 40 Metern von 50 km/h auf null bremst. (Im leeren Zug und bei optimalen Bedingungen, im Echtbetrieb kann der Bremsweg deutlich länger sein.)

Sandstreuen beim Bremsen

Apropos Bremsen – das läuft in der Regel über die Motorbremswirkung, also Hebel zurück. Bei einer Notbremsung wird die Schienenbremse aktiviert: Magnete zwischen den Achsen saugen sich mit der Kraft von 24 Tonnen an die Schienen. Dann wird auch noch Sand vor die Räder gestreut, um die Reibungswirkung zu erhöhen.

So schwierig wirkt das alles gar nicht. Aber gut, mit einer Instruktorin an der Seite, einer Strecke mit fast keinem Verkehr und keinen Passagieren im Wagon redet es sich leicht. Und immerhin, kein einziges Mal versehentlich auf eines der Pedale getreten . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2017)

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