Messerattacke in Hamburg: Tödliche Fehleinschätzung

Hamburgs Bürgermeister, Olaf Scholz (SPD), legt Blumen an dem improvisierten Mahnmal nieder.
Hamburgs Bürgermeister, Olaf Scholz (SPD), legt Blumen an dem improvisierten Mahnmal nieder.(c) APA/AFP/PAUL WEIDENBAUM (PAUL WEIDENBAUM)
  • Drucken

Die Behörden kannten den Messerangreifer von Hamburg. Sie hielten ihn für einen psychisch labilen Islamisten, aber nicht für gefährlich. Parteien drängen nun auf schärfere Gangart.

Hamburg/Berlin. Es gibt die Helden nach dem Messerangriff auf einen Supermarkt in Hamburg-Barmbek, Männer mit Migrationshintergrund, die den Angreifer mit allem bewarfen, was sie in die Finger bekamen. Sessel und Steine flogen auf den 26-jährigen Palästinenser, der ein blutverschmiertes Messer in der Hand hielt. Aber es gibt auch die quälenden Fragen und ein Déjà-vu: Wieso haben die Behörden die Gefährlichkeit des Täters unterschätzt? So wie im Fall des Berliner Attentäters Amri. Und wieso war der ausreisepflichtige Mann noch im Land? So wie Amri.

Bemerkenswert am Fall des Ahmad A. ist, dass der 26-Jährige vor dem Angriff „unbedingt ausreisen“ wollte. Er legte keine Berufung gegen seinen im Dezember 2016 abgelehnten Asylantrag ein. Im Gegenteil: Er wirkte mit im Ausreiseverfahren. „Fast vorbildlich“, heißt es. Auch die palästinensische Mission war gewillt, ihn als Landsmann anzuerkennen. Auch dies ist nicht immer üblich. Und doch verstrichen Monate. Just Stunden vor dem Messerangriff erkundigte sich der in den Vereinigten Arabischen Emiraten gebürtige Mann angeblich, ob die Passersatzpapiere schon eingetroffen seien. Sie waren es nicht. Dass der Mann kooperierte, trug dazu bei, dass seine Gefährlichkeit unterschätzt wurde.

„Druck auf Herkunftsländer“

Erst kürzlich hatte die in Umfragen schwächelnde SPD versucht, das Thema Flüchtlingspolitik im Wahlkampf zu bespielen. Nach dem Blutbad drängte nun Innenexperte Burkhard Lischka in Interviews, den wirtschaftlichen Druck auf besonders kooperationsunwillige Herkunftsländer zu erhöhen. Wobei es diesen Unwillen im Fall Ahmad A. laut Behörden eben nicht gab. Zudem fragte der SPD-Mann, wieso der 26-Jährige nicht in Abschiebehaft saß. Das Gesetz dazu war zuletzt nachgeschärft worden.

Zuständig für Rückführungen sind derzeit vor allem die Länder. Sie müssten nun ihre „politischen Eitelkeiten“ ablegen, insistierte der Unionsobmann im Innenausschuss des Bundestags, Armin Schuster (CDU). Bundesministerien hätten gegenüber Herkunftsländern mehr „diplomatische Power“ als „die Ausländerbehörde Buxtehude oder Kleve“. Die CSU indes schäumt. „Wenn eine Radikalisierung bekannt ist, müssen solche Personen aus dem Verkehr gezogen und festgesetzt werden, bevor sie Taten begehen“, sagte deren Generalsekretär, Andreas Scheuer, der „Bild am Sonntag“.

Es gab Anzeichen für eine Radikalisierung bei Ahmad A., dem groß gewachsenen Mann, der im März 2015 nach Stationen in Spanien, Schweden und Norwegen als Asylwerber nach Deutschland kam. Er veränderte sich, hörte auf, Alkohol zu trinken, wandte sich dem Koran zu, soll auch islamistische Parolen geschrien haben. Verfassungsschützer bekamen einen Wink. Sie hielten den 26-Jährigen nach einem Gespräch für psychisch labil und stuften ihn als Islamisten ein. Davon gibt es 800 in der Kartei. Allein in Hamburg. Anders als Amri galt er nicht als Gefährder, nicht als Jihadist. Und anders als Amri hatte er wohl keine Kontakte zum IS. Einen Anschlag traute man ihm nicht zu. Warum nicht? Hamburgs Regierung gelobt Aufklärung.

Die Behörden meiden indes das Wort Terror, das Motiv sei unklar, Ahmad A. eben auch psychisch labil. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte allgemein, dass es persönliche Motive geben könne und die Ideologie dann nur als Rechtfertigung diene.

Fest steht: Ahmad A. ging an jenem Freitag zweimal in den Supermarkt, das erste Mal angeblich wegen Toastbrots; das zweite Mal – nachdem er schon im Bus gesessen war – um zu töten. Er riss ein Messer aus der Verpackung und stach um sich. Ein 50-Jähriger starb vor Ort. Die Polizei zählte sieben Verletzte, fünf davon mit Stichwunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.