"Der dunkle Turm": Das Kinouniversum in der Nussschale

„Der dunkle Turm“ mit Idris Elba als „Gunslinger“ Roland: Präsenz, um archetypische Figuren zu verkörpern, wäre vorhanden.
„Der dunkle Turm“ mit Idris Elba als „Gunslinger“ Roland: Präsenz, um archetypische Figuren zu verkörpern, wäre vorhanden.(c) Sony
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Der Blockbuster "The Dark Tower", basierend auf Stephen Kings achtbändigem Fantasy-Universum, kehrt Schwächen der kosmologischen Bestrebungen Hollywoods deutlich hervor.

Ob sie wollen oder nicht: Moderne Kinozuschauer sind Raumpiloten und Weltenwandler. Denn Filme – zumindest jene Blockbuster, die den Leinwanddiskurs dominieren – erzählen keine Geschichten mehr. Sie expandieren Universen. Und von diesen kann es offenbar gar nicht genug geben. Jeder zweite Kassenschlager versteht sich als Urknall eines neuen Kosmos, kaum einer ist sich selbst genug. Ob ein Stoff diesen Größenwahn rechtfertigt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Es gilt, Gebiete abzustecken und Fantasien zu besetzen, solange der Vorrat reicht. Verständlich: Die Aufmerksamkeit des Publikums ist eng begrenzt, die Konkurrenz enorm. Wer seine Markenvormachtstellung nicht zementiert und hegt, kann von einem Moment auf den anderen wieder vom Thron stürzen. Und je mehr Sterne eine Unterhaltungsgalaxie hat, umso stärker ist ihr Zusammenhalt. Filme werden gesehen und wieder vergessen. Ein Universum hält ewig.


Comics

Marvel hat es vorgemacht. Kein Wunder: Die Comic-Branche fährt diese Strategie seit Jahrzehnten. Vom papierenen zum Cinematic Universe ist es kein großer Schritt. Lineare Fortsetzungsreihen, Teil eins, Teil zwei, Teil drei: Schnee von gestern. Zeitgenössische Kinomythologien dehnen sich in alle Richtungen aus, mit Vorgeschichten, Nebensträngen, Zukunftsvisionen. Jeder Superheldenfilm fügt sich ins große Ganze, unterstützt von Serien und Online-Content. Das läuft gut. Und was gut läuft, macht Schule. „Star Wars“ (wie Marvel Eigentum von Disney) dient sich schon dem Namen nach für ein Universum an. Lego auch, damit kann man etwas aufbauen. Aber „Die Mumie“ hat unlängst gezeigt, dass Tom Cruise und ein paar Monster noch kein „Dark Universe“ in Gang setzen (auch wenn die zuständige Firma Universal heißt). Und dass sogar ein Geisterjägerfilm wie „The Conjuring“ zum Zentralstern eines düsteren Sonnensystems erklärt wird, ist eigentlich nur noch unheimlich. Nichts gegen Universen an sich: Schließlich stellen Kinos selbst ein solches dar. Nur geht es dort darum, Entdeckungen zu machen, seine eigenen Sterntagebücher zu führen und unbekannte Konstellationen zu finden. Der Astro-Atlas jüngerer Filmnetzwerke ist indes vorgezeichnet, ebenso wie die Flugbahn des Zuschauers. Wie soll man da in Galaxien vordringen, die kein Mensch zuvor sah?


Fans warten

Schwer zu sagen. Aber wenn man schon auf Schiene durch einen Spiralnebel geschleust wird, schadet es nicht, wenn dieser von jemandem geschaffen wurde, der wusste, was er tat. Zum Beispiel von Stephen King. Der US-Kultautor hat schon lange, bevor es angesagt war, weitläufige Welten entworfen und miteinander verknüpft. Sein ganzes Oeuvre, von „The Shining“ über „It“ bis zu „Salem's Lot“, spielt unter einem Dach – auch wenn das nicht sofort ins Auge springt. Die Säule dieses fiktionalen Gebäudes bildet „The Dark Tower“. Eine achtbändige Saga von über 4000 Buchseiten, die Elemente aller möglichen Genres (Fantasy, Horror, Western, Sci-Fi) in sich vereint – in einer mäandernden Story um den Revolverhelden Roland Deschain, der auf der Suche nach dem titelgebenden Turm durch die (Parallel-)Welten des King'schen Multiversums streift.

Fans warten schon lange auf eine Leinwandfassung von Kings Opus magnum. Nun kommt der erste „Dark Tower“-Film in die Kinos. Die Adaption lässt jedoch sehr zu wünschen übrig. Man merkt schnell, dass die erfrischende Kürze von 95 Minuten einem mangelnden Gespür für die epischen Maßstäbe und verzweigten Motive des Ausgangsmaterials geschuldet ist. Im Mittelpunkt steht weniger der „Gunslinger“ Roland („The Wire“-Star Idris Elba) als die Halbwaise Jake Chambers (Tom Taylor). Jake lebt in Brooklyn und wird von Albträumen geplagt, er sieht immer wieder einen Mann in Schwarz.

Bei diesem handelt es sich um den mächtigen Hexer Walter O'Dim (Matthew McConaughey), der den dunklen Turm zerstören und so das Ende aller Welten herbeiführen will. Dafür braucht er Menschen mit besonderer Begabung, Menschen wie Jake. Also setzte er seine Schergen auf ihn an, doch dem Jungen gelingt die Flucht. Per Dimensionsportal landet er in Rolands Domäne – und unter dessen Fittichen. Der Rest verläuft wie ein gehetztes Reißbrett-Abenteuer, das nicht an sich selbst zu glauben scheint, ein Fantasy-Epos ohne Fantasie – schnörkellos und kurzweilig, aber völlig unambitioniert. Die Regie des Dänen Nikolaj Arcel bleibt stets funktional. Die Spezialeffekte haben kein Gewicht.


TV-Pilot

Elba und McConaughey sind passend besetzt: Jeder von ihnen hat die nötige Präsenz, um archetypische Figuren zu verkörpern. Dennoch wirkt ihr Konflikt seltsam unerheblich, und der verknappte Showdown bekräftigt dieses Gefühl. Wenn man schon ein Universum aus der Taufe heben will, muss man weiter ausholen. „The Dark Tower“ macht hingegen den Eindruck einer aufgeblasenen TV-Pilotfolge.

Und genau das ist der Film auch. Die zugehörige Serie soll in zwei Jahren anlaufen, mit Elba an Bord. Das ist die Crux mit der Kinokosmos-Versessenheit. Wenn jede Produktion nur als Baustein eines Großprojektes fungiert, braucht sie für sich genommen nichts mehr zu bieten. Und irgendwann passen alle diese Universen in eine einzige Nussschale.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2017)

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