Kunduz: Taliban sollen Sturm auf Feldlager geplant haben

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Kunduz(c) REUTERS (STRINGER/AFGHANISTAN)
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Der umstrittene Luftangriff in Afghanistan soll eine Reaktion auf Informationen gewesen sein, wonach die Taliban ein deutsches Feldlager erstürmen wollten. Oberst Klein soll die Ermittlungen behindert haben.

Neue Wendung in der Kunduz-Affäre: Der deutsche Oberst Georg Klein soll den umstrittenen Luftschlag unter dem Eindruck von Geheimdienstinformationen über Pläne der Taliban zur Erstürmung des Bundeswehrfeldlagers befohlen haben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa haben der deutsche Geheimdienst BND und die Armee-Eliteeinheit KSK in den Wochen vor dem Luftangriff in Nordafghanistan einen Drei-Stufen-Plan der Taliban aufgedeckt. Die Recherchen sollen in der deutschen Bundesregierung bekannt gewesen sein.

Die Causa Kunduz hat bereits Ex-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung, seinen Staatssekretär Peter Wichert sowie Armeechef Wolfgang Schneiderhan ihre Ämter gekostet.  In den vergangenen Tagen kam Jungs Nachfolger als Verteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg, immer mehr unter Druck, nachdem jüngste Informationen den Eindruck entstehen ließen, beim Luftangriff ging es nicht um die Abwehr eines unmittelbar drohenden Anschlags, sondern um eine gezielte Tötung von Taliban-Führern.

Falsche Angaben von Klein

Nach den dpa-Informationen ging Klein davon aus, dass die radikalislamischen Taliban am Abend des 3. September ihren Plan mit der Entführung der Tanklastwagen in die Tat umsetzen wollten. Nach Mitternacht am 4. September gab er den Befehl zum Luftangriff. Bis zu 142 Menschen starben oder wurden verletzt, darunter viele Zivilisten. Bei der Anweisung von US-Kampfjets zur Bombardierung soll Klein gegen Regeln der internationalen Schutztruppe ISAF verstoßen haben. So soll er wahrheitswidrig angegeben haben, dass eigene Truppen Feindberührung hätten. Deutsche Soldaten waren aber nicht in der Nähe.

Nach den Geheimdienstinformationen hätten die Aufständischen mit Tanklastwagen den ersten Ring des Feldlagers sprengen wollen. Danach hätten Selbstmordattentäter in Kleinwagen den zweiten Ring brechen sollen. Im dritten Schritt hätten viele Dutzend bewaffnete Kämpfer dann in das Feldlager eindringen sollen. Mit dem Angriff hätten die Taliban eine spektakuläre Wirkung wie mit der Erstürmung eines Gefängnisses 2008 in Südafghanistan erzielen wollen. BND und KSK hätten die Rekrutierung von Selbstmordattentätern in der Region und Bewegungen größerer Gruppen bewaffneter Taliban beobachtet.

Angriffsplan erfüllt

Mit der Kaperung der dann in einem Flussbett steckengebliebenen Tanklaster und Informationen, dass dort vier führende Taliban seien, habe Klein den Angriffsplan erfüllt gesehen. Für die Bundeswehr habe sich die Frage gestellt, wie der Plan vereitelt werden könne, wenn die Tanklaster wieder fahrbereit gemacht und in das nächste Dorf gelenkt worden wären. Eine Bombardierung in einem Dorf sei ausgeschlossen worden. Klein habe außerdem berücksichtigen müssen, dass ein Teil seiner Soldaten in anderen Gefechten und das Feldlager dadurch verwundbarer gewesen sei.
"Taktischer Erfolg, strategisches Desaster"

In der Bundeswehr heißt es, "militärisch-taktisch sei der Angriff ein Erfolg, strategisch aber ein Desaster". Der Afghanistan-Einsatz habe durch die hohe Zahl der Toten national und international Schaden genommen und belaste darüber hinaus das Verhältnis von Deutschland zu Bündnispartnern. Im Nachhinein sei eindeutig, dass Klein den Angriffsbefehl in dieser Abwägung nicht hätte geben dürfen. Die Geheimdienstinformationen über den Drei-Stufen-Plan sollten angeblich zum Schutz der Aufklärungsarbeit von BND und KSK nicht an die Öffentlichkeit gelangen.

Klein behinderte Ermittlungen

Indessen berichtet das Nachrichtenmagazin "stern", Oberst Klein habe die Ermittlungen nach dem Luftschlag aktiv behindert. Klein habe nach dem Angriff Anfang September angeordnet, Ermittler vom Regionalkommando aus Mazar-i-Sharif nicht mit den ersten deutschen Soldaten zum Tatort zu lassen. Zur Begründung habe er angegeben, sie seien "vor Ort nicht erwünscht". Die von Brigadegeneral Jörg Vollmer entsandten Ermittler hätten erst später zum Tatort kommen können, als Leichen und Leichenteile bereits von Angehörigen beerdigt worden seien. Zudem habe Klein Untergebene im Feldlager Kunduz angewiesen, bei Ermittlungen nicht zu kooperieren, berichtete der "stern" unter Berufung auf vertrauliche Unterlagen der Bundeswehr.

Die Vorgänge rund um den Luftangriff sind Gegenstand eines Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag, der am Mittwoch seine Arbeit aufnimmt. Der Ausschuss wird voraussichtliche mehr als ein Jahr lang arbeiten.

(Ag.)

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