„Körper und Seele“: Zwei Monaden lernen sich lieben

Der rechtschaffene Endre (Géza Morcsányi) trifft auf die penible Maria (Alexandra Borbély).
Der rechtschaffene Endre (Géza Morcsányi) trifft auf die penible Maria (Alexandra Borbély).(c) Alamode Film
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Der überraschende Berlinale-Sieger „Körper und Seele“ erzählt von der zärtlichen Annäherung eines innerlich Versehrten und einer Frau mit Berührungsängsten – und schrammt dabei haarscharf am Edelkitsch vorbei.

Nur wenige hatten damit gerechnet, dass der ungarische Film „Körper und Seele“ am Ende der diesjährigen Berlinale als großer Sieger dastehen würde. Das preziöse Liebesdrama schien viel zu verhalten und feinfühlig, um der notorischen Botschaftsversessenheit des Festivals Genüge zu tun – für gewöhnlich werden dort Werke mit dem Hauptpreis geehrt, deren politische Signalwirkung man schon am Plakat erkennt. Dennoch konnte sich „Körper und Seele“ gegen Konkurrenten wie Aki Kaurismäki durchsetzen. Die Jury unter Vorsitz von Paul Verhoeven hat ihre Entscheidung damit begründet, dass der Film sie an etwas erinnert hat, was man im Alltag oft vergisst: Mitgefühl. Auch von der 61-jährigen Regisseurin Ildikó Enyedi kam ein Empathie-Appell: Nur mit großzügigem Herzen, erklärte sie bei der Preisverleihung, könne man sich ihrem Film nähern.

Ein Schlachthof in Budapest

Diese Bekundungen ließen durchscheinen, dass die Auszeichnung doch nicht so untypisch war, wie der erste Blick vermuten ließ. Plötzlich sah man sie als Statement gegen die Boulevardisierung der Umgangsformen, die Errichtung von (zwischenmenschlichen) Mauern – und nicht zuletzt gegen den rüpelhaften Tonfall des US-Präsidenten. Hätte man es bei der Abschlusszeremonie nicht so deutlich ausbuchstabiert, müsste man ob der Subtilität dieses symbolischen Winks beinahe beeindruckt sein.
Wie dem auch sei: „Körper und Seele“, jetzt in den heimischen Kinos, funktioniert auch ohne diesen Überbau. Und er hat auch ohne ihn Stärken und Schwächen. Seine Qualität liegt in einer filigranen Inszenierung, deren Sanftmut sich wie von selbst auf den Zuschauer überträgt. Sein Fehlgriff hingegen in der Verklärung dieser Sanftmut zum streichelweichen Edelkitsch.

Hauptschauplatz ist ein Schlachthof in Budapest. Dessen Finanzverwalter Endre (Géza Morcsányi) ist ein rechtschaffener, aber zugeknöpfter Mann, gezeichnet von schlechten Erfahrungen in der Liebe und im Leben. Sein gelähmter linker Arm wirkt wie ein Symbol seiner inneren Versehrtheit. Manchmal wirft er flüchtige Blicke zu den lachenden Arbeiterinnen, die gegenüber von seinem Büro Rauchpausen machen, und man spürt, dass vielleicht noch ein Funken Begehrlichkeit in ihm steckt. Aber Endre lässt sich nichts anmerken. Bis Maria (Alexandra Borbély) in sein Leben stakst. Die neue Qualitätskontrolleurin des Betriebs scheint nicht von dieser Welt. Offenbar hat sie es nicht so mit Zwischenmenschlichkeit. Dafür ist sie bei der Arbeit sehr genau – regelrecht penibel, wie Kollegen hinter ihrem Rücken tuscheln. Keine guten Voraussetzungen, um Anschluss zu finden.

Trotzdem zeigt sich Endre von der ausdruckslosen Eigenbrötlerin fasziniert. Und als es nach einem Diebstahl zur psychologischen Evaluierung sämtlicher Mitarbeiter kommt, wird diese Neugierde erwidert. Denn wie sich herausstellt, träumen Maria und Endre schon eine Weile denselben Traum. Er handelt von der zärtlichen Begegnung eines Hirschs und einer Hirschkuh in einem unberührten, schneebedeckten Naturidyll: Ein deutlicher Kontrast zur klinischen Brutalität ihres Tagwerks.

Die Selbstverständlichkeit, mit der „Körper und Seele“ dieses Märchenelement in sein relativ realistisches Setting einführt, ist bezeichnend für den ganzen Film. Seine Geschichte über die langsame Annäherung zweier Monaden hat viel von dem, was Pressetexte konventioneller Programmkinoromanzen oder Indie-Schmonzetten mit dem Euphemismus „zauberhaft“ etikettieren.

Gemeint ist damit eher: putzig, herzig – kitschig. Der Clou an Enyedis Comeback-Werk (die Regisseurin hat seit 18 Jahren keinen Langfilm mehr gedreht) liegt in der Erdung dieser Possierlichkeiten mit einem glaubhaften Milieu, überzeugenden, gut gespielten Figuren und der Sensibilität für die Entfremdungseffekte von Einsamkeit.

Gespenstische Gitarrenballade

Daher wirken Szenen, in denen Maria mit Playmobil-Figuren Alltagskonversationen nachspielt, sich von einem überforderten Kinderpsychologen in Liebesdingen beraten lässt oder zwecks Sinnlichkeitstraining ins Kartoffelpüree greift, mehr tragikomisch als drollig. Und das Hin und Her zwischen den Protagonisten (bei denen man natürlich von Anfang an weiß, dass sie zusammengehören) nicht wie dramaturgische Spiegelfechterei. Zudem arbeitet der Film eher mit pointierten Momentaufnahmen und verstohlenen Blickwechseln als mit großen, effekthascherischen Gesten – ganz im Sinn seiner Hauptfiguren, die beide Schwierigkeiten haben, sich ihrer Umwelt zu öffnen.

Dennoch kommt einem das Ganze gegen Ende, als die Barrieren kurz vor einer Katastrophe zum Einsturz kommen, allzu süßlich vor. Fast zu schön, um schön zu sein – wie eine Schneekugel mit Porzellanpärchen drin. Oder fehlt einem bloß das großzügige Herz, von dem Enyedi bei der Berlinale gesprochen hat? Was auf alle Fälle bleibt, ist eine gespenstische Gitarrenballade der jungen Folk-Sängerin Laura Marling, die an entscheidenden Stellen des Films zum Einsatz kommt: Ihre exquisite Traurigkeit hallt lang nach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2017)

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