Zwei Kinder jenes steirischen Arztes, der vom Vorwurf diverser Quälereien freigesprochen wurde, schilderten öffentlich ihr Martyrium.
Nach dem für praktisch alle Prozessbeobachter völlig überraschenden Freispruch des obersteirischen Arztes L. (ergangen vorigen Freitagabend im Landesgericht Graz) kämpfen die Kinder des Mannes weiter. Zwei von ihnen, Josef L. und Madlen L., beide mittlerweile erwachsen, schilderten am Mittwoch in Wien im Rahmen einer groß angelegten Pressekonferenz noch einmal auszugsweise jene Quälereien, denen sie jahrelang zu Hause ausgesetzt gewesen seien.
Gleich am Anfang stellte Opferanwältin Andrea Peter klar, dass sie – entgegen zuvor medial kolportierten Angaben – nie vor gehabt habe, den Grazer Richter, der den Freispruch gefällt hat, wegen Amtsmissbrauchs anzuzeigen. Der Fall sorgt nach wie vor für Diskussionen, da der angeklagte Arzt der Bruder eines Spitzenpolitikers ist – und daher immer wieder von (möglichen) Interventionen bei der Justiz die Rede ist.
Tatsächlich findet sich auch im Gerichtsakt ein ausdrücklicher, von der Polizei verfasster Hinweis auf dieses Verwandtschaftsverhältnis.
Demnach „wird angeführt“, dass der Bruder von L. „im Nationalrat vertreten“ sei. Und: Ein psychiatrischer Sachverständiger, der von der Staatsanwaltschaft beauftragt worden war, die Opfer zu begutachten, hatte schriftlich (das Mail liegt auch der „Presse“ vor) „eine ganze Reihe von Interventionsversuchen durch Kollegen aber auch Politiker“ angeprangert.
Unter Tränen schilderte Madlen L. vor einer ganzen Wand aus TV-Kameras, dass sie als 16-Jährige von ihrem Vater Schlaftabletten, Schmerzmittel und auch Spritzen verabreicht bekommen habe – ein „kalter Entzug“ sei die Folge gewesen. „Es war grauenhaft.“ Auch epileptische Anfälle habe sie bekommen. Ihr Vater habe „täglich Selbstmorddrohungen“ ausgestoßen. Einmal habe er sich eine Waffe vor ihr an die Schläfe gehalten, sie habe ihn angefleht nicht abzudrücken.
Auch der am Podium sitzende Sohn gab sichtlich erschüttert Einblicke in seine Kindheit. Er sei von seinem Vater mehrmals gezwungen worden, „ihn in die Bewusstlosigkeit zu spritzen“. Als kleiner Bub habe er aber die Venen des Mannes nicht gleich gefunden. Beim ersten Mal habe er „zehn bis zwölf Versuche“ gebraucht. „Dieses Bild werde ich nie wieder los, wie die Hände voller Blut waren.“
Nun können die Opfer nur noch auf jenes Rechtsmittel hoffen, das von der Staatsanwaltschaft Graz bereits angemeldet wurde. Sollte diese Behörde tatsächlich Berufung gegen den Freispruch des Mediziners einbringen – dies ist nicht sicher, zuerst will die Staatsanwaltschaft die schriftliche Begründung des Freispruchs analysieren – könnte es zu einer Prozesswiederholung kommen.
„Verspäteter Rosenkrieg“?
Einschränkende Erklärung der Staatsanwaltschaft Graz: Aus dem Umstand, dass ein Rechtsmittel angemeldet worden ist, „darf aber nicht abgeleitet werden, dass die Staatsanwaltschaft Graz die gegen den erkennenden Richter erhobenen Vorwürfe einer einseitigen Prozessführung teilt“.
Richter Andreas Rom vom Landesgericht Graz hatte in seiner Urteilsbegründung ausgeführt: „Es ist zwar in der Familie viel passiert, aber aus den Akten und den heutigen Aussagen findet man keinen Anhaltspunkt, dass die Handlungen mit derartiger Intensität begangen wurden, dass es strafbar ist.“ Der Richter sah in den Vorwürfen der Familienmitglieder vielmehr einen „verspäteten Rosenkrieg nach der Scheidung“. Die Frau des Arztes habe mithilfe der Kinder versucht, dem angeklagten Mediziner etwas in die Schuhe zu schieben. Dessen Praxis ist derzeit geschlossen, eine endgültige Entscheidung der Ärztekammer liegt noch nicht vor.