Frankreich, von Macron bis Rilke

Als Fenster zur großen frankophonen Welt präsentiert sich Frankreich in Frankfurt. Bild: Container- Konstruktion des Verlags Kein & Aber auf der Buchmesse.
Als Fenster zur großen frankophonen Welt präsentiert sich Frankreich in Frankfurt. Bild: Container- Konstruktion des Verlags Kein & Aber auf der Buchmesse.(c) APA/dpa/Boris Roessler (Boris Roessler)
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Buchmesse. Mehr Autoren als jedes andere Land hat Frankreich nach Frankfurt mitgebracht – und demonstriert statt Identität Sprachkultur und Sprachmacht. Ein Bericht.

Es ist die Demonstration sprachlicher Weltmacht: So viele Schriftsteller hat noch kein Land auf die Frankfurter Buchmesse gebracht wie Frankreich. 130 französische Autoren und insgesamt noch viel mehr, nämlich rund 180 aus aller Welt, die auf Französisch schreiben.

Man hätte sich bei dieser Gelegenheit jede Menge Deklarationen und Diskussionen zur französischen Identität erwarten können, zu dem, was das Land Frankreich so alles ausmacht. So, wie es Flandern und die Niederlande im vergangenen Jahr unter dem Motto „Was wir teilen“ getan haben. Doch nichts, das heißt, fast nichts davon heuer. Im Restaurant des Ehrengasts riecht es zwar nach Meeresfrüchten, glitzert der Rotwein. Aber im hellen, warmen Pavillon mit gelbem Teppichboden und ikeaartigen Holzregalen wimmelt es einfach nur von Büchern, 40.000 an der Zahl; eine riesige und doch erstaunlich luftige und übersichtliche Bibliothek.

Dass sie so einladend wirkt, hat freilich durchaus mit einer Spezialität französischer Buchkultur zu tun – den Bildern. Ein großer Teil der Fläche ist den „Bandes dessinées“ gewidmet, den Comic-Bänden, ebenso außergewöhnlich groß ist der Kinder- und Jugendbuchbereich. Die herausragende Tradition französischer Buch-Illustration sticht hier sofort ins Auge.

Auch bei den innovativen digitalen Buchentwürfen und bei digitalen Spielen beeindruckt die Kraft der Grafik. An den kommende Woche erscheinenden neuen „Asterix“-Band erinnert hier nichts (nur im Freien ein gigantischer Gummi-Asterix), aber auch das ist Programm. Frankreich hat sich auf jüngere und junge Autoren konzentriert.

Mit Protektionismus in Bezug auf den eigenen Buchmarkt hat Frankreich Erfahrung, in Frankfurt inszeniert es sich nun als Avantgarde-Hüter von Urheberrecht und Übersetzungsvielfalt, kurz, einer europäischen Buchkultur gegen Amazon und Co – mit einem starken Symbol: Mittels einer Nachbildung der 400 Jahre alten Gutenberg-Presse drucken Autoren jeweils die erste Seite ihres neuen Buchs, auf Französisch und in deutscher Übersetzung.

Auch Joseph Roth war frankophon

Vor allem aber: Frankreich hat nicht das Land Frankreich, sondern die auf viele Teile der Welt verstreute Sprache Französisch in den Mittelpunkt seines Auftritts gestellt. Da finden auch Alt-Österreicher Platz, nämlich Joseph Roth und Rainer Maria Rilke mit französischen Gedichten. Gleich daneben verneint am Donnerstag Schriftsteller Pierre Michon die Frage des deutschen Interviewers, ob er deutsche Literatur liebe. Nein, Kafka, Roth, die liebe er, die Schriftsteller aus der Habsburgermonarchie!

Kafka, Rilke – auch der französische Präsident Emmanuel Macron hat in seiner Rede zur Eröffnung der Buchmesse auf sie verwiesen: als Beispiele für Autoren, die in einer Sprache schreiben, welche nicht die ihres Landes ist. Soll man diese Betonung der Differenz von Sprache und Nationalität in Frankfurt als Absage an nationalen Stolz werten? Es könnte auch ein geschickter Umweg sein. Französisch hat zwar in Europa massiv an Bedeutung verloren, weltweit aber wird es von 270 Millionen Menschen gesprochen. Der Ehrengast kann hier auf eine Ausstrahlung verweisen, die er in vielen Bereichen nicht mehr hat. Der Verzicht auf große französische Identitätsdiskussionen in Frankfurt hat wohl zum Teil ebenfalls damit zu tun: Im Kontext der Frankophonie würden sie nur auf heikles Terrain führen – Stichwort Kolonialvergangenheit.

Selbst die auf der Buchmesse verkündete Shortlist für den Prix Goncourt ist heuer arm an französischer Vergangenheit; dafür (als Zugeständnis an den deutschen Gastgeber?) reich an deutscher: Olivier Guez folgt in „La disparition de Josef Mengele“ den Spuren des KZ-Arztes durch Argentinien, und Eric Vuillards „L'ordre du jour“ beschreibt anhand von politischen Begegnungen des „Führers“ etwa mit Schuschnigg oder Industriellen die Mechanik von Hitlers Aufstieg.

Kräftig kritisiert wurde Frankreichs Präsident in Frankfurt von linken französischen Autoren. Er sei in Frankreich gar nicht beliebt, stellte etwa Schriftstellerin Annie Ernaux gegenüber der „Presse“ klar. Der Autor von „Rückkehr nach Reims“, Didier Eribon, schlug wegen ihm die Einladung zur Eröffnungsfeier aus. Auch einer der bekanntesten jungen Autoren, Edouard Louis, distanzierte sich demonstrativ von Macrons Politik. Michel Houellebecq blieb es vorbehalten, bei seinem großen Auftritt den französischen „Nationalstolz“ ins Spiel zu bringen. Der sei wieder da, verkündete er erfreut, mit Frankreichs neuem Präsidenten Emmanuel Macron, und ironisch: Man werde nun wieder das „arrogante“ Volk von früher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2017)

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