Jedermann sucht das Glück

(c) Clemens Fabry
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Glück ist das Trendgefühl schlechthin. Der Zeitgeist sagt, jeder kann es lernen: durch Ratgeber oder in der Schule. Aber ganz so einfach ist das leider nicht. Skeptiker warnen mittlerweile vor einem Erfolgsdruck.

Wenn die Suche nach dem Glück die neue Volksreligion ist, dann ist Eckart von Hirschhausen einer ihrer Hohepriester. Der deutsche Arzt hält sich mit seinen Büchern über Glück und wie man es findet hartnäckig auf den Bestsellerlisten, ist ständiger Gast in deutschen Talkshows und darf sich über ausverkaufte Kabarettabende freuen. Das Publikum hängt an seinen Lippen, betört von der Botschaft: Glück ist nicht nur für die Auserwählten da, Glück hat nichts mit Geld zu tun, Glück kann man lernen.

Diese Idee hat derzeit Hochkonjunktur. Die Zeitschrift „Psychology Today“ hat errechnet, dass 2008 nicht weniger als 4000 Bücher zum Thema „Glück“ und „Positive Thinking“ erschienen sind. Im Jahr 2000 waren es nur 50. Dazwischen liegen allerdings fast zehn Jahre – und in dieser Zeit hat die neue Disziplin der „Glücksforschung“ abgehoben, die von dem amerikanischen Psychologen Martin Seligman begründet wurde. Er rief seine Kollegen im Jahr 2000 dazu auf, sich nicht nur mit den Problemzonen der menschlichen Psyche wie Trauer oder Verlust zu beschäftigen, sondern sich doch lieber darum zu kümmern, wie man aus den Menschen glücklichere Wesen machen könnte. „Neue Forschung über Glücksgefühle zeigt, dass sie nachhaltig gesteigert werden können“, schreibt Seligman in seinem Buch „Der Glücksfaktor“.

Damit fanden Psychologen und solche, die es gern wären, offenbar eine klaffende Marktlücke. Das illustriert die Entwicklung des Kurses „Positive Psychology“, der in Harvard von dem Glücksforscher Tal Ben-Shahar unterrichtet wird. Im ersten Jahr meldeten sich acht Personen an, sechs kamen zum Kurs. Im zweiten Jahr waren es 300 und im dritten Jahr über 1000. Bald war die „Happiness“-Vorlesung die meistbesuchte an der amerikanischen Elite-Uni.

Mittlerweile wird Glücksunterricht auch als Fach mit Zukunft an Schulen angeboten. Denn, so zeigen alle Untersuchungen, Eltern wünschen sich vor allem eines: starke und glückliche Kinder. Oft aber verfügen sie nicht über das Rüstzeug, um ihren Nachwuchs in diesem Sinne zu formen. „Wir haben in unserer Gesellschaft eine Fehlervermeidungskultur, die den Fokus auf Schwächen legt“, sagt Ernst Fritz-Schubert, Leiter der Heidelberger Willy-Hellpach-Schule. „Ich wollte etwas dagegenhalten, das an die Stärken der Menschen anknüpft.“ Seit 2007 können seine Gymnasiasten das Fach „Glück“ belegen, das sogar als Prüfungsfach für die mündliche Matura zugelassen ist.

Schulen im Glücksfieber. Auch an österreichischen Schulen gibt esimmer mehr Glücksunterricht. „Glück macht Schule“ zum Beispiel, das im vergangenen Schuljahr als mehrteiliges Projekt für 15- bis 18-Jährige an drei höheren Schulen in Wien, Kärnten und dem Burgenland anlief. Es ging um eine „fächerübergreifende Auseinandersetzung mit dem Thema Glück“, erzählt Trainer Thomas Weinberger von „factor happiness“. Glücksforschung in Theorie und Praxis oder Glückstests standen ebenso auf dem Programm wie Entspannungstechniken, Reflektieren von Verhaltensmustern, Proben von Theater-Sketches zum Thema Glück oder Umsetzung der gelernten Strategien.

Barbara Kunerth und Sonja Wodnek, zwei Lehrerinnen der Volksschule Oed in Niederösterreich, haben beste Erfahrungen mit dem Glücksunterricht gemacht. „Wir waren drei Wochen vor Schulschluss mit dem ganzen Stoff fertig. Das Thema Glück hat eine richtige Eigendynamik entwickelt. Die Kinder waren für alles zu begeistern“, erzählt Kunerth.

Aus „6“ wird Lachen. Im Rechnen etwa erfanden sich die Volksschüler ihre Additionen oder Multiplikationen selbst aus den Buchstabenanzahlen von Wörtern, die für sie positiv besetzt sind: Die Rechnung „10 mal 6“ entstand aus „Gummibärli mal Lachen“ und „15 plus 7“ aus „Ausgelassenheit plus Energie“. So erfolgreich war das Glücksprojekt in der altersgemischten Mehrstufenklasse von Oed, dass der Bezirksschulinspektor fürs Schuljahr 2009/10 sogar eine zusätzliche Schulstunde „Glück“ genehmigt hat.

Die Steiermark will den Glücksunterricht überhaupt flächendeckend etablieren. Gestartet wurde im Schuljahr 2009/10 mit sechs Pilotschulen aller Schultypen. „Glück macht Schule“ beschert den Schülern eine Wochenstunde Glücksunterricht. Dieser soll „nicht nur das Glück der Kinder, sondern auch das der Lehrer“ fördern, betont Eva-Maria Chibici von der Pädagogischen Hochschule Graz.


„Freude am Leben“ lernen. Die Unterrichtsmodule tragen wohlige Namen: „Freude am Leben“, „Freude an der eigenen Leistung“, „Ernährung und körperliches Wohlbefinden“, „Der Körper in Bewegung“, „Der Körper als Ausdrucksmittel“ und „Das Ich und die soziale Verantwortung“.

Den Schülern werden dabei ähnliche Instrumente in die Hand gegeben, wie sie auch andere „Glückssucher“ vermittelt bekommen. „Es geht darum zu lernen, in welchen Situationen man sich wohlfühlt, und Instrumente zu erwerben, wie man solche Situationen wiederherstellen kann“, erklärt Ernst Fritz-Schubert. Im Alltag wird die Glückssuche zu „Stärkentraining“ und Einübung in „Lebenskompetenz“. Da kann dann ein Schüler aus schwierigen sozialen Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund plötzlich zum Coach werden, weil er Erfahrungen gemacht hat, die anderen fehlen. „Jeder verfügt über Ressourcen, die in der Schule üblicherweise nicht abgerufen werden“, sagt Fritz-Schubert.

Hoffnung und Neugier. Erwiesen ist mittlerweile, dass bestimmte Stärken größeren Einfluss aufs subjektive Glücksempfinden haben als andere. „Hoffnung und Neugier etwa tragen mehr zurLebenszufriedenheit bei als der Sinn fürs Schöne oder Bescheidenheit“, erklärt der Österreicher Willibald Ruch, Leiter der Fachgruppe Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik an der Universität Zürich. Andere „Glücksfaktoren“ sind Bindungsfähigkeit, Dankbarkeit oder Optimismus.

An Ruchs Institut wird empirische Glücksforschung betrieben. Glück ist dabei als „längerfristige Lebenszufriedenheit“ definiert, und die setzt sich aus äußeren Faktoren wie politischer Stabilität oder intakten sozialen Strukturen und dem zusammen, was der Einzelne mitbringt. Vor einiger Zeit hat das Institut den bekannten „Values in Action“-Test, kurz VIA, für 10- bis 17-Jährige online gestellt. Auf der Basis von Selbsteinschätzung erfasst VIA jene Stärken, die die Lebenszufriedenheit positiv beeinflussen.

Ruchs Team hat auch untersucht, wie und ob sich Stärkentraining auswirkt. Das Ergebnis: Stärkenförderung macht zufriedener. Selbsterkenntnis ist der erste Schritt dorthin. So arbeitet zum Beispiel die Schweizer Berufsberatung bereits mit dem „VIA“-Test. Als Nächstes plant das Institut, spezielles Wissen für Eltern und Lehrer auf seine Website zu stellen.


Positives von der Seele schreiben. Eine der Glücksübungen, die Willibald Ruch in seinen Vorlesungen macht, schließt an die Tipps von Tal Ben-Shahar für ein glückliches Leben an: Man notiert sich über zwei, drei Wochen, was einem täglich an Gutem widerfährt: „Am Anfang fällt einem eher noch auf, dass einem der Bus vor der Nase davongefahren ist. Durchs Aufschreiben wiegen aber mit der Zeit die Positiv-Erlebnisse immer schwerer, und man empfindet sie stärker. Dadurch entsteht eine Aufwärtsspirale, die das Dankbarkeitsgefühl wachsen lässt, die Wahrnehmung schärft und den Fokus verschiebt“, erklärt Ruch.

Roman Braun, Glücksforscher und Coach, findet dieses Ergebnis erstaunlich: „Offenbar ist es also nicht so, dass man sich die Probleme von der Seele schreibt. Im Gegenteil, man schreibt sie sich auf die Seele.“ Das entkräftet auch die These, dass man sich immer allen negativen Erfahrungen stellen muss.

„Tue Gutes“ ist ein anderer Eckpunkt für ein glückliches Leben. „Es gibt eine Untersuchung, bei der Studenten Geld gegeben wurde. Die einen sollten die zehn Dollar für sich ausgeben, die anderen sollten etwas für andere Menschen besorgen. Am Ende des Tages war die zweite Gruppe glücklicher und zufriedener“, meint Braun. Einen glücklichen Menschen zeichne außerdem aus, dass er in der Lage ist, den Augenblick zu genießen und eine gewisse Distanz zu seinen Problemen zu wahren (siehe Interview).

Schön langsam aber mischen sich in die Treibjagd nach dem Glück auch immer mehr kritische Stimmen. So mancher Skeptiker ortet mittlerweile sogar einen richtigen Zwang zum Glücklichsein: In einer Gesellschaft, die sich immer noch am liebsten an Leistung orientiert, drohe die Unterscheidung in jene, die es schaffen, und jene, die sich weiterhin unglücklich fühlen. „Glück ist nur eingeschränkt machbar. In Deutschland herrscht allerdings die Meinung vor, dass man sich nur genügend anstrengen muss, um glücklich zu sein“, sagte die Münchner Glücksforscherin Annegret Braun in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Das birgt wiederum die Gefahr in sich, dass erfolglose Glückssucher im Notfall zu Psychopharmaka greifen, um zu den bereits glücklich Gewordenen aufzuschließen.


Dauerhaftes Glück? Keine Chance. Außerdem setzt sich nachhaltig die Meinung durch, dass Glück allein auch nicht glücklich macht. Oder wie die US-Präsidentengattin Eleanor Roosevelt es ausdrückte: „Glück ist kein Ziel, es ist ein Nebenprodukt.“ Am schwersten tun sich daher jene Menschen, die obsessiv das Glück suchen. Was oft genau zum Gegenteil führen kann, warnt Annegret Braun: „Die Suche nach Glück kann auch unglücklich machen. Weil man das Ziel, dauerhaft glücklich zu sein, niemals erreicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2010)

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