Nackt in den Überwachungsstaat

Solange nur jemand mehr Sicherheit verspricht, lassen sich die meisten Bürger duldsam ein Freiheitsrecht nach dem anderen abluchsen. Auf Flughäfen verdichten sich die Neurosen des Terrorzeitalters.

Die Nullerjahre mit all ihrem ermüdenden Terror-Irrsinn sind vorbei, und wir trotten noch immer nackt und schicksalsergeben wie geschorene Schafe in den Überwachungsstaat. Und der wird munter ausgebaut. Denn da draußen gibt es ja immer noch genug Wahnsinnige wie den 28-jährigen Somalier, der in der Nacht auf Samstag einen dänischen Zeichner mit Axt und Messer besuchen wollte, weil der sich vor vier Jahren erlaubt hatte, den Propheten Mohammed zu karikieren.

Fast nichts ist mehr geheim, in der hysterischen Terrorgefahrsuppe löst sich die Privatsphäre auf wie zu lang gekochtes Gemüse. Der große staatliche Chefkoch weiß über alles Bescheid, wenn er nur will: zum Beispiel, wohin wir wann reisen und mit wem wir telefonieren. Demnächst sind die Telekommunikationsfirmen sogar hochoffiziell per Gesetz verpflichtet, die Handydaten aller Kunden mindestens sechs Monate aufzubewahren und bei Bedarf an die Polizei weiterzuleiten. Eine Richtlinie der EU will es so. Na dann. Proteste dagegen? Fehlanzeige.

Längst sind auch unsere intimsten Vorlieben ein offenes Buch. Die Spuren, die wir bei Einkaufen mit Kreditkarten oder beim Surfen im Internet ziehen, ergeben ein hübsches Profil, das sich kommerziell und polizeilich auswerten lässt. Und auf Film wird sowieso schon jeder mehrmals täglich gebannt, wenn er durch die Straßen Wiens latscht, auf der Autobahn oder mit der U-Bahn unterwegs ist. In manchen Gemeindebauten wird man jetzt sogar schon beim Mistkübelausleeren von einer Kamera aufgenommen. Angeblich dient das alles der Sicherheit. Der Staat schaut eben auf uns (und hört und liest auch mit). Wer nichts zu verbergen hat, den kann das auch nicht stören, wird man gern belehrt.

Doch! Es stört, wenn die Grundlagen für ein totalitäres Big-Brother-Gemeinwesen geschaffen werden. Es stört, wenn der Staat so ganz nebenbei Rechte untergräbt, für die jahrhundertelang gekämpft wurde. Der Kampf gegen den Terror rechtfertigt nicht, ein lückenloses Überwachungsnetz zu knüpfen, in dem auch unbescholtene Bürger zappeln. Die Freiheit lässt sich nicht verteidigen, indem man sie beschneidet. In blökender Duldsamkeit lassen sich die Bürger unserer Generation ein Freiheitsrecht nach dem anderen abluchsen, solange ihnen nur jemand mehr Sicherheit verspricht. Die Bewegungsfreiheit etwa ist ziemlich relativ geworden im Flugverkehr. Dort verdichten sich überhaupt die Neurosen des Terrorzeitalters. Flugzeuge haben in den Zerstörungsfantasien von Osama bin Laden und Konsorten nicht erst seit den Anschlägen vom 11. September Fetischcharakter: Die technischen Wunderdinge der Moderne vom Himmel zu holen gibt besonders furchteinflößende Bilder.

Dementsprechend ins Abstruse gesteigert ist der Sicherheitswahn auf Flughäfen. Auch missglückte Attentate haben da nerven- und zeitraubende Folgen. Dem gescheiterten Schuhbomber John Reid ist es zu verdanken, dass Fluggäste auf Socken durch die Kontrolle gehen müssen. Weil eine Bande Anschläge mit Flüssigsprengstoff plante, darf man nicht mehr bedenkenlos Deos und Zahnpasta an Bord nehmen. Nicht sehr appetitlich auf langen Strecken.


Hose weggebrannt. Und ein nigerianischer Exministersohn, der sich am Christtag in einer Maschine der Delta Airlines in die Luft sprengen wollte und sich dann doch nur die Hose wegbrannte, dürfte uns den sogenannten Nacktscanner hinterlassen. Bald können Sicherheitsleute also auf ihren Bildschirmen auch die Prothesen, den Intimschmuck oder auch den künstlichen Darmausgang ihrer durchleuchteten Fluggäste in aller Ruhe betrachten. Warum reisen wir nicht gleich einfach mit Handtuch und bauen die Maschinen zu fliegenden Saunen um? Man hat ja nichts zu verbergen.


christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2010)

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