"Thor: Ragnarok": Götterdämmerung zum Kichern

Gemeinsam gegen die Todesgöttin Hela: Hulk (Mark Ruffalo), Thor (Chris Hemsworth), eine ehemalige Walküre (Tessa Thompson) und Loki (Tom Hiddleston).
Gemeinsam gegen die Todesgöttin Hela: Hulk (Mark Ruffalo), Thor (Chris Hemsworth), eine ehemalige Walküre (Tessa Thompson) und Loki (Tom Hiddleston).(c) Disney Film
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„Thor: Ragnarok“, das klingt mächtig düster. Doch der dritte Teil der Blockbusterreihe nimmt seinen Weltenbrand leicht – und erinnert an die TV-Serie „Hercules“.

Ob sich in hundert Jahren noch jemand daran erinnern wird, dass Donnergott Thor einst der nordischen Sagenwelt angehörte? Oder wird sich der Monomythos des Marvel-Universums die Figur dann schon restlos einverleibt haben? Denn bei ihrem klingenden Namen denken heute nur noch wenige an Walvaters Sohn, den Gatten Sifs und kraftvollsten aller Asen. Stattdessen weckt er Assoziationen mit der Avengers-Superheldenbande und dem australischen Schmachthünen Chris Hemsworth.

In Übersee besteht die Spaltung zwischen Sagen-Thor und Comic-Thor schon etwas länger. Seit 1962 stampft der hammerschwingende Haudrauf göttlicher Herkunft durch Marvel-Bildbände. Damals trug er noch das stolze Attribut „The Mighty“ – und einen klassischen Flügelhelm, der modernen Filmkostümdesignern wohl zu albern ist. Seine „Erfinder“ heißen, wie beim Großteil aller namhaften Marvel-Heroen, Stan Lee und Jack Kirby. Eigentlich verwunderlich, dass sie nicht noch mehr traditionelle Mythologien für ihre Zwecke geplündert haben; schließlich waren Herakles, Siegfried & Co im Grunde nichts anderes als die Superhelden ihrer Zeit.

Der Donnergott in der Gegenwart

Noch überraschender ist, dass es Lees und Kirbys Thor bis in die Gegenwart – und zu einer eigenen Filmreihe im Leinwandkosmos Marvels – geschafft hat. Was hat ein archaischer, grobschlächtiger Mega-Macho im betont progressiven, selbstironischen Kinoheldenzirkus von heute verloren? Entsprechend überstrapaziert wurde in den ersten „Thor“- und „Avengers“-Filmen der „Fish-out-of-Water“-Humor – also Späße auf Kosten einer Figur, die sich unvermittelt in einer ihr völlig fremden, für den Zuschauer hingegen alltäglichen Welt wiederfindet. Von seinem Vater Odin aus Asgard nach Midgard (sprich: auf die Erde) verbannt, ließ der arrogante Übermensch kein Fettnäpfchen aus. Diese Schiene hat sich mittlerweile abgenutzt, schwer humorig ist der jüngste „Thor“-Teil trotzdem – ungeachtet seines ominösen Untertitels „Ragnarok“.

Auf Deutsch lautet er „Tag der Entscheidung“. Nur: Entscheidend ist an diesem Film nichts. Klar wird wieder mal ein Weltuntergang aus dem Hut gekramt, wie in jedem zweiten (Superhelden-)Blockbuster. Zum Schluss muss – ei der Daus! – ganz Asgard dran glauben. Das ist aber kein Spoiler, sondern eine bloße Fußnote.

Gewitzter Kommentar auf Großfilme

Nicht einmal der Film selbst scheint die Apokalypse ernst zu nehmen – und wirkt somit fast wie ein gewitzter Kommentar auf den inflationären Gebrauch von Götterdämmerungen im zeitgenössischen Großfilmgefilde. Keine Sekunde erinnert hier, trotz etlicher Detailreferenzen für Kenner, an die Schicksalsschwere altertümlicher Epen. Woran „Ragnarok“ am ehesten anschließt, sind augenzwinkernde TV-Actionkomödien – wie die kultige „Hercules“-Serie mit Kevin Sorbo, die in den Neunzigern auch in Österreich populär war.

Fernsehcharakter hat etwa die Grundannahme, Zuschauer wären bereits aus den letzten hundert Marvel-Filmen mit Thor und seiner Welt vertraut. Oder die Ästhetik, die zwischen Seifenopernlook und Digitaleffekten aus dem Diskonter oszilliert. Vor allem aber der Zufallsabenteuerplot, der zwar Spaß macht und Charakterdynamiken weitertreibt, aber dabei jegliches Gewicht vermissen lässt.

Nach der unerwarteten Wiederkunft seiner machthungrigen Schwester, der Todesgöttin Hela (enttäuschend eintönig: Cate Blanchett als böse Disney-Fee im gehörnten Domina-Outfit), verliert Thor (gewohnt sympathisch: Hemsworth) seinen Krafthammer Mjölnir und landet mit seinem hinterlistigen Bruder (vom Bösewicht zum Anti-Helden: Tom Hiddleston) auf einem Gefängnisplaneten, wo ein exzentrischer Diktator namens „Grandmaster“ (charmant süffisant: Jeff Goldblum) intergalaktische Gladiatorenkämpfe veranstaltet.

Und siehe da: Als deren unbesiegter Champion erweist sich der unglaubliche Hulk (Mark Ruffalo), der am Ende der letzten Avengers-Keilerei ins Weltall katapultiert wurde. Mit Hilfe einer abgeklärten Ex-Walküre (lässig: Tessa Thompson) schluckt der Donnergott seinen Stolz herunter und versucht, sich und seine Freunde aus dem Schlamassel zu befreien. Der Schmäh rennt dabei wie geschmiert, was womöglich dem neuseeländischen Regisseur Taika Waititi zu verdanken ist – der hat nämlich schon in der amüsanten Vampir-Satire „What We Do in the Shadows“ mythische Wesen mit Gusto vom Sockel geholt. Schrullige Nebenfiguren, etwa ein gleichmütiger Steinmensch mit Revolutionsambition (gesprochen von Waititi selbst), sowie der Gastauftritt eines genervten Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) heben den Schmunzelfaktor.

Auch sonst erfreut „Thor 3“ mit einer exaltierten Alles-Geht-Attitüde: Irgendwann schießen hier geharnischte Kriegerinnen mit Miniguns auf Riesenhunde. Die Schablonenhaftigkeit des übergreifenden Plots kann das allerdings nicht kaschieren. Ebensowenig wie die Ödnis der Action, die dem aktuellen Superheldenstandard folgt: Gesichtslose Gegnerwellen werden zu den Klängen endgeiler Rock-Mucke aus den Siebzigern (diesmal: „Immigrant Song“) niedergemetzelt, als stäke man im Computerspiel „God of War“. In der ursprünglichen Ragnarök-Erzählung stirbt Sagen-Thor übrigens am Gift der Midgard-Schlange.

Comic-Thor überlebt den „Tag der Entscheidung“ natürlich – denn der nächste Weltenbrand, die Totalkarambolage „Infinity War“, wartet schon um die Ecke.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2017)

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