Gegengift

Angst vor der Wende? Dann kennen Sie keine echten Kracher!

Sicher, die Zukunft wird schrecklich sein. Aber nicht deshalb, weil die SPÖ den Kanzler und die Grünen das Geschäftsmodell verloren haben.

Die Apokalyptiker des Ressorts Zukunft im Erdberger Bunker des Gegengifteshaben in den vergangenen zwei Wochen wie besessen Trockenmilch, Schokoriegel und Konserven eingekauft. Diesmal ist der Grund für ihre in immer kürzeren Abständen auftretende Hysterie, dass sie sich vor der dräuenden türkis-blauen Wende in Österreich fürchten. Dabei sind die Ölsardinen noch gar nicht verbraucht, mit denen sich meine Kollegen während der Inauguration von US-Präsident Donald Trump eingedeckt haben. Es wäre sogar noch Knäckebrot der Ära Bush bei uns im Keller. Von Bush senior, wohlgemerkt.

Ich bin ja in dieser Hinsicht unspektakulär fatalistisch. Meine Wurzeln an der Lafnitz sind wahrscheinlich daran schuld. Ob Römer, Hunnen oder Awaren, Osmanen, Kuruzen oder Russen, ob es nun Österreich oder Ungarn heißt – das Burgenland wird immer das Burgenland bleiben. Selbst, wenn es blau-rot schwächelt.

Sicher, die Zukunft wird schrecklich sein. Aber nicht deshalb, weil die SPÖ den Kanzler und die Grünen ihr Geschäftsmodell verloren haben. Wer ausgerechnet in Österreich eine Wendezeit erwartet, der glaubt vielleicht sogar, dass Außenminister Sebastian Kurz das Mittelmeer geteilt und die Westbalkanroute geschlossen hat.

Nein. Richtige Zeitenwenden brechen niemals in Wien aus. Das ist historisch verbürgt. Als Beweis seien ein paar echte Kracher angeführt.

13,8 Milliarden Jahre vor dem frühesten bekannten Mauerbau am Ballhausplatz: Die Umgebung war noch nicht einmal wüst und leer, sondern gar nicht vorhanden, da macht sich ein abstrakter Punkt wichtig. Und schon ist er konkret passiert, der Urknall, aus dem Materie, Raum und Zeit hervorschießen. Nichts und niemand hat es seither vermocht, dieses explosive Gestell wieder zurückzustopfen in selige Vor-Zeiten des Vor-Raums. Das Nichts nichtet? Aber wo!

400 Millionen Jahre vor der Regulierung des Wienflusses: Ein Fisch begehrt auf und wittert Morgenluft. Er entwickelt seltsame Gliedmaßen und geht an Land. Es dauert nicht lange, bis aus Solidarität mit dem Wald die ersten Bäume umarmt werden.

100.000 Jahre vor dem 15. Oktober 2017: Ein Primat im Gras erhebt sich, sagt: „A.“ Ein anderer verspricht: „B.“ Seither redet der Homo politicus. Eine Wende ist nicht zu erwarten.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2017)

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