Animation: Von Praxinoskop bis Pixar

Toy Story
Toy Story(c) Disney/Pixar
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Heute denkt man beim Wort „Animationsfilm“ meist an Familienunterhaltung aus dem Rechner. Dies ist die jüngste Etappe einer langen, facettenreichen Entwicklung.

Der Begriff „Animationsfilm“ ist eine Tautologie. Jeder Film, ob real, gezeichnet oder computergeneriert, besteht aus „animierten“ Einzelbildern. Eine Ironie, dass Animationsfilme heute oft als Kinderkram abgetan werden – ohne die ihnen zugrunde liegende Technik gäbe es das moderne Kino gar nicht. Denn die Proto-Kinematografen des 19. Jahrhunderts hießen z. B. Phenakistiskop, Zoetrop und Praxinoskop: wissenschaftliches Spielzeug, das gemalte oder gezeichnete Bilderfolgen per Drehmechanik zum Kreiseln brachte und so die Illusion einer fließenden Bewegung erzeugte. Die Nachbildwirkung fußt auf der Trägheit des Auges: Ein Lichtreiz braucht ein Weilchen, um abzuklingen und verschmilzt daher leicht mit dem nächsten.

Anfangs nutzten Forscher das für die Visualisierung von Bewegungsstudien. Eadweard Muybridge, Erfinder des Zoopraxiskops, bediente sich dabei erstmals fotografischer Aufnahmen und wurde so unwillkürlich zum Filmpionier. Es dauerte nicht lange, bis „lebende Fotos“ tanzenden Zeichnungen den Rang abliefen. Doch die neue Technik eröffnete auch Animationskünstlern ungeahnte Möglichkeiten.

1908 befreite Franzose Émile Cohl den Zeichentrick aus seinem Endlosschleifenkäfig, indem er die handskizzierte Strichgeschichte „Fantasmagorie“ auf Negativfilm bannte. Ein neues Unterhaltungsmedium war geboren und entwickelte sich rasch weiter.

Die Cel-Technik (von „Celluloid“), bei der Einzelbilder auf Folien aufgetragen und zur Animation über gemalte Hintergründe gelegt werden, reduzierte den Produktionsaufwand enorm. Als erster Cartoon mit nahtlosem Synchronton gilt hingegen das Mickey-Maus-Abenteuer „Steamboat Willie“ (1928), für das Walt Disney ein eigenes Aufnahmeverfahren entwickelte – und so den Grundstein für sein Entertainment-Imperium legte. Disney hat den Ruf einer Kitschfabrik, trug aber maßgeblich dazu bei, dass Zeichentrickfilme als Kunstform anerkannt wurden. Während TV-Cartoons wie „Familie Feuerstein“ aus Kostengründen oft nur das Nötigste aufboten, um Bewegung vorzutäuschen, steigerten die Arbeiten des Maushauses von Mal zu Mal ihr Raffinement – und setzten so Qualitätsstandards weltweit. Obwohl der japanische Anime-Meister Hayao Miyazaki („Chihiros Reise ins Zauberland“) ungern mit Disney verglichen wird – sein Studio Ghibli zählt zu dessen Erben.

Da sich viele menschliche Bewegungen ob ihrer Komplexität nicht glaubhaft von Hand animieren lassen, setzte Disney wiederholt auf die Methode der Rotoskopie, bei der Filmaufnahmen abgepaust werden, um ein kinetisches Grundgerüst zu gewährleisten – etwa in den Tanzszenen von „Schneewittchen und die Sieben Zwerge“ (1937) und „Die Schöne und das Biest“ (1991). Ihren Ursprung hat die Technik in der Kolorierung von Stummfilm-Einzelkadern und im Experimentalfilmbereich. Schon ein Jahr vor „Snow White“ verwandelte der verspielte Avantgardist Len Lye die Performance eines Choreografen per Nachbearbeitung in einen surrealen „Rainbow Dance“. Der Keim zur modernen Motion-Capture-Technik, also digitaler Bewegungserfassung als Basis für anthropomorphe Computeranimationen (wie in „Avatar“ und „Herr der Ringe“), wurde hier gelegt.

„100% Genuine!“ Traditionsbewusste Animatoren blicken herab auf derartige „Schummelei“. Und nicht nur sie: Just die Computeranimationsschmiede Pixar setzte ans Ende ihres Rattenmärchens „Ratatouille“ den (etwas augenzwinkernden) Hinweis: „Our Quality Assurance Guarantee: 100% Genuine Animation! No motion capture or any other performance shortcuts were used in the production of this film.“ Dabei hat kaum eine andere Firma mehr geleistet, um das klassische Verständnis von Animation als analogem Handwerk vergessen zu machen. Die Fuzelarbeit, die Pixar in Rechner-Wunderwelten wie jene von „Toy Story“ oder „Inside Out“ investiert, setzt es von Konkurrenten ab. Doch die von ihm mitinitiierte Digitalisierung des Kinos hat die Ära des Zeichenblocks zu besiegeln geholfen.

Mittlerweile haben sich die Grenzen zwischen dem, was auf der Leinwand „wirklich“ ist und was „animiert“, fast ganz aufgelöst. In Spielfilmen werden Kulissen digital aufgebrezelt und mit künstlichen Details bestückt, tote Schauspieler kommen (wie im letzten „Star Wars“-Film) dank Tricktechnik aus dem Jenseits zurück, computergenerierte Tiere trappeln durch authentische Naturkulissen. In Zukunft, schrieb der Filmkritiker J. Hoberman schon 2012, wird jeder Film ein Animationsfilm sein. Doch wie gesagt: Eigentlich war das schon immer der Fall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2017)

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