Leopold-Museum: Anton Kolig, ein Meister der Sublimierung

(c) Bildrecht Wien/ Leopold-Museum.
  • Drucken

Die erste große Retrospektive des expressionistischen Malers Anton Kolig seit 1948 zeigt ein stilistisch furioses Frühwerk. Thematisch aber ist es eine Wucht: wie manisch verdrängte Homosexualität hier sublimiert wird.

Was wurde alles über die Frauenakte von Egon Schiele und Gustav Klimt geschrieben, auch kritisch. Über die Frauenbilder von Oskar Kokoschka, seinen Hang zur Alma-Puppe et cetera. Liest man über den Zeitgenossen Anton Kolig, der mit Schiele befreundet war, mit Kokoschka studiert hat, erfährt man meist etwas über seine Farben. Sie leuchten so stark, v. a. im Spätwerk – ja, es wird ein wahrer „Farbenrausch“ konstatiert. Dass Koligs Werk v. a. von einem hormonellen Rausch erzählt, davon ist, etwa in den Wandtexten der ersten großen Retrospektive dieses stiefmütterlich behandelten Expressionisten, nichts zu lesen.

Dabei fällt es sofort auf. Sofort, wenn man sich im ersten großen Saal umsieht, spürt man, hier ist etwas anders. Es sind nicht die üblichen Frauenakte, die klassisch-moderne Ausstellungen sonst bestimmen. Es sind nackte Männer, die einen hier umringen, in jugendlicher, idealisierter Pracht. Das Jünglingsbild, erfährt man, prägte Koligs Werk. Mehr nicht. Das „Mehr“ ist im Katalog zu erfahren, wo Kolig-Spezialist Otmar Rychlik diesen in seinen Unentschlossenheiten so österreichischen Künstler beschreibt, der „zugleich fortschrittlich und traditionsverbunden, mutig kämpferisch und ängstlich-grüblerisch, begeisterungsfähig und leicht zu enttäuschen“ war, der „seine Familie liebte und sich zu jungen Männern hingezogen fühlte“. Die rund 3000 Männeraktzeichnungen sind wohl der erste derart manisch in Kunst sublimierte Ausdruck unterdrückter Homosexualität in der Kunstgeschichte. Das ist die wahre Wucht, die große Erzählung und auch die internationale Bedeutung dieses Werks.

In der noch von Franz Smola (mittlerweile wieder Belvedere) kuratierten Ausstellung, die aus 60 Gemälden und 50 Papierarbeiten besteht, ist das zwar durchgehend zu sehen, aber man hätte es auch ruhig klar ansprechen können. Schon das erste Bild ist programmatisch: Mit 25 Jahren, als der 1886 in Mähren als Sohn eines Kirchenmalers Geborene an der Wiener Kunstakademie studierte, malte er „Jüngling mit Amor“, einen doppelten Männerakt. An der Akademie lernte er Franz Wiegele kennen, den er ebenfalls nackt porträtierte und dessen Schwester er bald heiratete. Fünf Kinder sollten sie bekommen, vier Mädchen, einen Buben. In einem Familienbild 1928 stellte er die Situation dar, vielleicht sah er sich selbst im Sohn: wie aufgebahrt im Kreis der Frauen liegend. In anderen Großformaten zeigt er sein Atelier, in dem sich – ein Pendant zu Klimt – nackte junge Männer tummelten. Zeigt er sich mit seiner Frau in Umarmung, während rundum sich die Modelle scharen. Diese Kreisform wiederholt sich, es gibt kein Entkommen.

Es durchfährt einen fast schaudernd, wenn er beim „Großen Knienden“, noch mehr bei der Wiederholung der Pose des nackten, knienden Mannes in „Sehnsucht“ (1921), die Arme des Dargestellten erhoben, nach vorn gestreckt zeigt, als ob er sich gegen eine fiktive Glasscheibe stemmt, die ihn von dem Betrachter trennt. Das Mädchen rechts unter ihm wirkt wie eine Puppe, die Leidenschaft richtet sich eindeutig auf etwas anscheinend Unerreichbares.

Abgesehen von diesen faszinierenden Hobbypsychoanalysen ist festzustellen, dass Kolig in seiner ersten Karrierehälfte herausragendes expressionistisches Talent besitzt: Die Pinselführung ist locker, die Linien werden aufgelöst, die Anatomie beherrscht er virtuos, und ja, auch farblich steht er einem Kokoschka um nichts nach. Im Ersten Weltkrieg rückt er als Kriegsmaler ein und schafft es, sogar einen verwundeten Soldaten erotisch wirken zu lassen. Da kannte er bereits die Pariser Szene, da hatte er sich bereits in der Heimat seiner Frau und deren Bruder, im Kärntner Nötsch, niedergelassen, wo er nach dem Krieg versuchte, eine Art Malkolonie mit Malereischülern aufzubauen.

Zwischen Ideologie und Avantgarde

1928 nimmt er ein Angebot als Professor in Stuttgart an. Es folgt eine Periode versuchter Etablierung. Ein öffentlicher Auftrag lässt ihn den Saal des Klagenfurter Landhauses ausmalen, was später von den Nazis zerstört wird. Andererseits treibt er Idealisierung und Symbolismus weiter in Richtung der von den Nazis geforderten Kunst, was ihm allerdings nicht recht gelingen will. 1943 geht er, wenig geachtet, in Stuttgart in Pension (ohne Pensionsanspruch). 1944 wird er in Nötsch bei einem Bombenangriff schwer verletzt. 1948 folgt die erste (und bis zur Leopold-Ausstellung jetzt) letzte große Ausstellung in Wien. Schwer gezeichnet, gestützt von seiner Frau, besucht er die Eröffnung. In seinen letzten Jahren arbeitete er u. a. an Entwürfen für das Westfenster des Stephansdoms. Im Farbrausch. Mit ganz vielen Adams.

„Anton Kolig“, bis 8.1., täglich außer Di 10–18h, Do bis 21h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.