Obamas Tafelrunde: Chicago-Boys und Clinton-Camp

(c) Reuters (Kevin Lamarque)
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Ehemalige Rivalen und altgediente Weggefährten: auf wen US-Präsident Barack Obama in seinem ersten Amtsjahr gehört hat – und warum seine Entscheidungen oft ein bisschen länger dauern.

WASHINGTON. Nach dem Attentat auf ihren Mann hat Jackie Kennedy das Weiße Haus zum Mythos stilisiert: zu einem Camelot – damals auch ein populäres Musical –, an dessen Tafelrunde John F. Kennedy die besten und klügsten Köpfe des Landes versammelte. Auch die Clintons suggerierten, dass in Washingtons Zentrum der Macht die Besten der Besten walteten – bis Hillary gleich zu Beginn mit ihrem Entwurf zur Gesundheitsreform mit dem zweiten Machtzentrum, dem Kongress, aneinandergeriet und sich mit Rahm Emanuel überwarf, einem engen Berater ihres Mannes.

Waren die Clintons durchdrungen von Politik, vermittelt Michelle Obama dagegen gerne den Eindruck, dass Politik am Esstisch keinen Platz habe. Zweifellos spielt die First Lady als informelle Ratgeberin eine wichtige, aber nicht quantifizierbare Rolle im politischen Prozess. Sie setzt eigene Akzente – wenngleich betont unpolitische, etwa in ihrem Feldzug für gesunde Ernährung und gegen Fettleibigkeit. Wenn sie ein Plädoyer für die Gesundheitsreform hält, blitzt jedoch ihre Angriffslust aus dem Wahlkampf auf.

Rigorose Disziplin

In Wahlkampfzeiten war das Obama-Lager bekannt für seine rigorose Disziplin, und auch aus dem Weißen Haus sickerten keine Eifersüchteleien oder Rivalitäten durch. Dabei hat Obama ein Team der Rivalen um sich geschart. Er übernahm einen Teil des Clinton-Camps – darunter die einstigen Streithähne Emanuel und Hillary Clinton sowie den machtbewussten Wirtschaftsberater Larry Summers –, bestellte den plauderseligen Joe Biden zum Vizepräsidenten und verschweißte sie mit seinen getreuen Kämpen aus Chicago und aus der Wahlkampagne.

Als Stabschef sitzt Emanuel jetzt im innersten Kreis; an der Scharnierstelle zwischen der Außenwelt und dem Oval Office regelt er den Zugang zu Obama. Er bildet die Schnittmenge aus den Chicago Boys und der Clinton-Gang. Gefürchtet für seinen scharfen Ton ist er Prellbock und Zuchtmeister zugleich und bekommt auch die meiste Kritik ab. Zusammen mit Stellvertreter Joe Messina fungiert Emanuel als „Verbindungsoffizier“ zum Kongress. Sie halten Kontakt zu den demokratischen Kongressführern Harry Reid und Nancy Pelosi, den Schlüsselfiguren im Ringen um die Gesundheitsreform.

Wahlkampfmanager David Axelrod, ein ehemaliger Journalist der „Chicago Tribune“, übt als oberster Politstratege seinen Einfluss hinter den Kulissen aus. Gemeinsam mit Pressesprecher Robert Gibbs füttert er die Medien und verleiht den Nachrichten aus dem Weißen Haus den richtigen Dreh.

Wäre da nicht die Beraterin Valerie Jarrett, wäre im Oval Office ein reiner Männerzirkel am Werk. Dass sich Obama vornehmlich mit Männern umgibt – am Basketballfeld wie auf dem Golfplatz – hat bereits für Häme in den Kommentarspalten gesorgt. Jarrett, eine Freundin aus Chicagoer Tagen, fühlt sich ihrem Selbstverständnis nach zur Obama-Familie gehörig. Der Präsident sei gleichsam wie ein Bruder, bekannte sie. Obama hat stets ein offenes Ohr für sie, Jarrett genießt sein volles Vertrauen. Sie agiert eher im Hintergrund. Mit Desiree Rogers, der Beauftragten für soziale Belange im Weißen Haus, bildet Jarrett ein eigenes Netzwerk. Auch Rogers zählt zu Obamas Chicagoer Freundeskreis, der regelmäßig zusammen auf Hawaii oder Martha's Vineyard die Urlaube verbringt.

Weniger intim ist die Verbindung Obamas mit Justizminister Eric Holder oder Bildungsminister Arne Duncan, einem einstigen Basketballprofi aus Chicago. Als Sport-Buddies pflegen sie engen Umgang mit ihm. Hoch im Kurs steht trotz Kritik auch das Wirtschaftsteam um Finanzminister Timothy Geithner,Summers, Budgetdirektor Peter Orszag und Beraterin Christina Rohmer, obwohl Obama über den Sekundenschlaf Summers und Orszags amouröse Verstrickungen spöttelt.

Nähe zur Macht

Neben der Sorge wegen des libidinösen Treibens ihres Mannes Bill war der freie Zugang zum Präsidenten denn auch ein kritischer Punkt Hillary Clintons bei der Erwägung, das Angebot, Außenministerin zu werden, anzunehmen. Als frühere First Lady weiß sie, wie wertvoll und wichtig die Nähe zur Macht ist; und wie fatal es ist, vom Informationsfluss abgeschnitten zu werden. Die Zusammenarbeit zwischen den einstigen Konkurrenten verläuft bisher ohne Störungen und Reibungen. Clinton ist– wie der republikanische Verteidigungsminister Robert Gates, mit dem sie eng kooperiert – in die Entscheidungen des Kriegs- und Krisenkabinetts eingebunden. Gates erklärte soeben, als Minister ein weiteres Jahr anzuhängen.

Der kollegiale Führungsstil Obamas bezieht auch den Vizepräsidenten mit ein, der – mit Ausnahme Dick Cheneys – oft wie das fünfte Rad am Wagen wirkte. Während der monatelangen Beratungen über eine Eskalation des Afghanistan-Kriegs hat Joe Biden dezidiert eine Gegenposition vertreten. Entscheidungen dauern oft länger, weil Obama den freien Meinungsaustausch schätzt – und erfahrene Ratgeber wie Biden.

BARACK OBAMAS BILANZ NACH SEINEM ERSTEN AMTSJAHR

1Innenpolitik. Die Gesundheitsreform, das zentrale Projekt Obamas, hängt am seidenen Faden. Eigentlich sollte das Gesetz längst unter Dach und Fach sein, doch die Verhandlungen ziehen sich hin und könnten überhaupt scheitern. Ein Klimaschutzgesetz steckt in den Gesetzesmühlen fest, die Bildungsreform ist kaum vorangekommen.

2Außenpolitik. Der Präsident hat an allen Fronten versucht, für Entspannung zu sorgen. Er hat damit vor allem das Image der USA wieder repariert. Im Nahen Osten, im Iran, in Nordkorea oder China stieß er indes nicht auf Widerhall. Während der Friedensnobelpreisträger den Abzug aus dem Iran verkündete, erhöhte er den Einsatz in Afghanistan.

3Wirtschaft. Mit einem Konjunkturprogramm von 787 Milliarden Dollar hat er die Wirtschaft angekurbelt. Die Rezession ist mit Wachstumsraten von bis zu drei Prozent vorerst überwunden, die Arbeitslosigkeit stagniert aber bei zehn Prozent – einem für die USA sehr hohen Niveau. Ein Notprogramm hat die Banken und die Autoindustrie wieder gestärkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2010)

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