Alexej Nawalny darf bei der Präsidentenwahl nicht gegen den Amtsinhaber antreten. Zu seiner offiziellen Rivalin hat Putin die TV-Moderatorin Sobtschak auserkoren.
Moskau/Brüssel. Die Überraschung hielt sich in engen Grenzen: Alexej Nawalny, der profilierteste und breitenwirksamste Kritiker des russischen Staatschefs, Wladimir Putin, darf bei der Präsidentenwahl im kommenden März nicht gegen den Amtsinhaber antreten. Die Mitglieder der zentralen Wahlkommission stimmten am Montag mit zwölf zu null Stimmen für den Ausschluss Nawalnys. Der Grund: Im vergangenen Februar wurde der Aktivist zu einer fünfjährigen Bewährungsstrafe wegen Unterschlagung verurteilt – ein Urteil, das auf angebliche Vergehen im Jahr 2009 zurückgeht, die Nawalny vehement bestreitet, und das im Oktober vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als rechtswidrig eingestuft wurde.
Die – für Putin erwünschte – Nebenwirkung des Urteils: Wegen der Verurteilung darf der 41-jährige Dissident bis 2028 für kein Amt kandidieren und kann dem Amtsinhaber somit nicht mehr an der Wahlurne gefährlich werden. „Sie sind jung, Sie haben noch alles vor sich“, ließ Ella Panfilowa, die Vorsitzende der Wahlkommission, den abgewiesenen Nawalny wissen.
Sollte Putin im März wiedergewählt werden – woran niemand zweifelt –, wird er seine vierte und theoretisch letzte Amtszeit einläuten, die bis 2024 laufen wird. Was dann passieren wird, weiß derzeit niemand. Um darüber hinaus im Amt zu verbleiben, müsste der Langzeit-Präsident die russische Verfassung umschreiben lassen. Variante zwei: Putin kultiviert im Laufe der nächsten Kadenz einen Nachfolger, übergibt 2024 die Zügel an ihn und zieht sich als graue Eminenz hinter die Kulissen des Kreml zurück.
„Ernsthafte Zweifel“ der EU
Die europäische Reaktion auf die Vorgehensweise der Wahlkommission fiel erwartungsgemäß kritisch aus: Der Ausschluss Nawalnys wecke „ernsthafte Zweifel“ am politischen Pluralismus und der Möglichkeit demokratischer Wahlen im kommenden Frühjahr, erklärte eine Sprecherin des Auswärtigen Dienstes der EU am Dienstag. Diese Zweifel bestehen freilich nicht erst seit dem Christtag – die EU forderte die russischen Behörden gestern erneut auf, Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zur Präsidentschaftswahl zuzulassen.
Im Kreml gab man sich am Dienstag betont gelassen: Nawalnys Fehlen werde sich auch nicht auf die Wahlbeteiligung auswirken, sagte Präsidentensprecher Dmitri Peskow – und richtete zugleich eine Warnung an den Regimekritiker aus: Aufrufe zu einem Boykott der Wahl am 18. März 2018 würden juristisch auf Rechtsverstöße geprüft.
Während Nawalny an der Eingangshürde scheiterte, kam Ksenia Sobtschak problemlos in die nächste Runde der russischen Präsidenten-Castingshow: Die Unterlagen der Fernsehmoderatorin wurden von der Wahlkommission ohne Widerspruch angenommen. Die 36-Jährige ist telegen, prominent (ihr 2000 verstorbener Vater war Anatolij Sobtschak, langjähriger Bürgermeister von Sankt Petersburg und Putins Mentor), darf im russischen Fernsehen für ihre Präsidentschaftskandidatur werben und soll – so die Hoffnung der Moskauer Machtmechaniker – dafür sorgen, dass nicht alle Jungwähler im März den Wahlurnen fernbleiben und dem Votum einen Anschein von Legitimität verleihen. Denn nach bald 20-jähriger Regierungszeit ist Putins größter Widersacher die Apathie der Bevölkerung.
Dass Nawalny Putin bei einer Präsidentenwahl ernsthaft gefährlich werden könnte, ist de facto unmöglich. Während der Amtsinhaber regelmäßig auf Zustimmungsraten in der Größenordnung von rund 80 Prozent kommt, könnte der Jurist und Blogger bestenfalls auf zwei Prozent der Stimmen kommen, schätzt das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Levada.
Allerdings hat Nawalny ein dichtes Netzwerk von Aktivisten und Unterstützern in den russischen Regionen geknüpft. Und er hat mit der grassierenden Korruption in den Chefetagen der russischen Politik und Wirtschaft ein Thema gefunden, das die Menschen bewegt. Sein bisher größter Coup war ein Dokumentarfilm über das angebliche Milliardenvermögen von Premierminister Dimitri Medwedew, der im März 2017 auf der Internetplattform YouTube veröffentlicht und bis dato knapp 26 Millionen Mal angeschaut wurde. (ag./la)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2017)