Leitartikel

Die Plagen der Korruption und der kriselnde Kontinent

Alberto Fujimori
Alberto FujimoriAPA/AFP/ERNESTO BENAVIDES
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Die Begnadigung Alberto Fujimoris, Perus Ex-Präsidenten, wirft ein Schlaglicht auf die Geißeln Südamerikas: Autokraten und ihre Dynastien.

Alberto Fujimori ist ein alter, kranker Mann, der an Herzschwäche leidet und an einem Zungenkarzinom, den Tod vor Augen. Die an seinem Krankenbett formulierte Reue gegenüber seinen peruanischen Opfern und der Dank gegenüber dem gleichaltrigen Präsidenten, dem 79-jährigen Pedro Pablo Kuczynski, der im Zuge einer Weihnachtsamnestie eine Begnadigung des inhaftierten Ex-Präsidenten ausgesprochen hat, mögen von Herzen gekommen sein. Doch sie reißen schwärende Wunden und Traumata in dem Andenstaat auf, die die Amtszeit des Autokraten Fujimori geschlagen hat. Die wütenden Proteste, die seit den Weihnachtsfeiertagen in den Straßen Limas aufflammen, zeugen von einer Polarisierung, die nur vordergründig überwunden war.

„El Chino“, wie sie den japanischstämmigen Fujimori in Peru nennen, war ein Präsident mit zwei Gesichtern: Er hat die linksradikale Guerilla, den Leuchtenden Pfad und Tupac Amaru, und ihren Terror niedergerungen und das Land in die politische und wirtschaftliche Stabilität zurückgeführt. Zugleich hat er jedoch sogenannte Todesschwadronen auf oppositionelle Gruppen gehetzt und die Misshandlung der indigenen Bevölkerung auf seine Fahnen geschrieben. 17 Jahre nach dem erzwungenen Rücktritt durch ein Amtsenthebungsverfahren ist dies unvergessen.

Just ein neuer Impeachment-Prozess, in diesem Fall gegen Pedro Pablo Kuczynski – kurz PPK, den Sohn eines vor den Nazis geflüchteten deutschen Mediziners –, wirft erneut ein Schlaglicht auf die dunkle Vergangenheit Perus. Gleichzeitig zeigt es die Probleme des kriselnden Kontinents in grellen Farben auf: die Geißel der Korruption, autokratische Regime, Nepotismus, raffgierige Familienclans.

Der Schmiergeldskandal um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht hat nicht nur die gesamte politische Klasse Brasiliens in Verruf gebracht – von den Ex-Präsidenten Lula und Rousseff bis zu ihrem Nachfolger Michel Temer, einem Intriganten, der sich nur mit Müh und Not im Amt hält und die Übel der Politkaste geradezu prototypisch verkörpert. Die Tentakel der Korruptionsaffäre haben sich indessen auf ganz Südamerika ausgestreckt, inklusive Peru. Ein Präsident, Alejandro Toledo, ist auf der Flucht; ein anderer, Ollanta Humala, sitzt im Gefängnis. Und Kuczynski hat die Schmach einer Amtsenthebung gerade noch abgewendet – mutmaßlich mittels eines Deals mit einem Teil des Fujimori-Clans.

PPK behauptet zwar, frei von Schuld zu sein. Doch auch der im Westen geschulte Ökonom wurde durch eine von ihm gegründete Investmentfirma in den Strudel der Korruption hineingezogen. Die Oppositionsführerin Keiko Fujimori, die Tochter des Ex-Präsidenten, die Kuczynski im Vorjahr bei der Präsidentenwahl nur knapp unterlegen war, strengte deshalb ein Impeachment gegen ihn an. Pointe der Ironie: Sie verfehlte die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit, weil ihr jüngerer Bruder Kenji und seine Fraktion in der Abstimmung unmittelbar vor Weihnachten absprangen. Daraufhin trat PPK für eine Begnadigung Fujimoris ein und brach ein Wahlversprechen.


Die Verwirrung ist perfekt: Kuczynski bleibt im Amt, seine Regierung ist nach dem Rücktritt des Innenministers aber schwer angeschlagen; Fujimori kommt frei und ist vereint mit seiner politisch zerrissenen Familie. Wird Kenji seiner Schwester Keiko das Erbe streitig machen? Werden die Fujimoris die Regierung stützen oder sie bei erstbester Gelegenheit stürzen? Peru könnte zum Tollhaus verkommen – wie Brasilien, ehedem das Symbol des Aufbruchs.

Erfolgsgeschichten wie die in Kolumbien oder auch in Chile verlaufen sich zusehends. Ein großer Teil des Kontinents schlingert am Abgrund: Venezuela, ausgezehrt von Jahren der Krise, ist am Rand des Kollapses; Kuba steht nach dem Ende des Castro-Regimes eine Phase der Ungewissheit bevor; in Bolivien dräut eine Autokratie unter Evo Morales; in Argentinien kommen die dunklen Kapitel der Kirchner-Ära zum Vorschein. Auf den Papst kommt bei seiner Visite in drei Wochen auf seinem Heimatkontinent, in Chile und Peru, eine große politische Mission zu. Und es wäre nicht Franziskus alias Jorge Mario Bergoglio, würde er den Politikern nicht die Leviten lesen.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2017)

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