Kindstötung: Offene Fragen und viele Gerüchte

Der frühere Diplomat war schon vor Jahren mit Fehlverhalten aufgefallen. Wie es trotz Betreuung im Spital zum Säuglingsmord kommen konnte, wirft Fragen auf. Opferschützer sehen viele Mängel.

Wien. Ein achtmonatige Baby ist tot, erstickt von der eigenen Mutter. Seine vierjährige Schwester wird in der Psychiatrie betreut, nachdem sie ausgesagt hatte, vom Großvater zu Weihnachten mehrfach schwer sexuell missbraucht worden zu sein. Wann das Mädchen entlassen werden kann, ob es fremduntergebracht wird oder zum Vater zurückkehren kann, sei völlig unklar, heißt es vom Wiener Jugendamt.

Die Mutter hat zwei Selbstmordversuche überlebt, sie befindet sich in der geschlossenen Psychiatrie. Über sie wurde U-Haft verhängt. Der Fall von Kindstötung in Wien sorgt nun seit Tagen für Entsetzen. Pädophiler Missbrauch, Mord an einem Säugling – schon wieder Vorwürfe rund um eine „Familientragödie“, unerwartet, entsetzlich, völlig unverständlich? Das Wiener Jugendamt wusste jedenfalls nicht, dass es in dieser Familie Probleme gegeben hätte, sagt Sprecherin Helga Staffa. Der Großvater, der nun in U-Haft sitzt, sei dem Amt nicht bekannt gewesen. Der Großvater sei „fassungslos“ angesichts der Anschuldigungen, „entsetzt“, dass sein Enkel tot sei, so Anwalt Rudolf Mayer. Sämtliche Vorwürfe weist der Pensionist zurück.

Dennoch, der Mann (es gilt die Unschuldsvermutung) ist kein unbeschriebenes Blatt: Im Innen- wie im Außenministerium ist der frühere Diplomat auch nach seiner Pensionierung einschlägig bekannt. „Ein Nachwuchs-...“, sagt man da noch heute, wenn sich Beamte unrühmlich verhalten haben.

Über strafrechtlich Relevantes gibt es viele Gerüchte, auch im Zusammenhang mit Minderjährigen. Bekannt wurde der Mann, einst Sprecher eines Außenministers oder Mitarbeiter an der Botschaft in Thailand, Ende der Neunziger Jahre in seiner Zeit als Botschafter in Fernost. Dem Mann wurden damals schlechtes Benehmen in der Öffentlichkeit, Umgang mit Prostituierten, finanzielle Unregelmäßigkeiten oder Antiquitätenschmuggel vorgeworfen. Er wies das stets zurück, seine Abberufung wurde zum viel diskutierten Politikum. 1998 verließ er den Botschafterposten, zog sich ein Jahr in Krankenstand zurück. Er konnte sich trotz der Anschuldigungen im öffentlichen Dienst halten, wurde vom Außen- ins Innenministerium versetzt und vertrat dieses in Brüssel.

Für Anwalt Mayer ist sein Mandant heute ein unbescholtener Pensionist, der nicht versteht, warum seine Enkelin solche Anschuldigungen macht. Für Rosa Logar, die Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt (von der auch die Vierjährige betreut wurde) ist es ein typisches und logisches Verhalten. Zugleich nennt sie es „bestürzend“, dass einem Kind nicht geglaubt wird. „Wie soll es sonst zu so einer Tat gekommen sein? Das Argument, ein Kind denkt sich das alles aus, kommt immer“, sagt sie. Aus ihrer Erfahrung sei es nicht denkbar, dass eine Vierjährige solche Vorwürfe erfindet.

„Kennen die Macht der Täter“

Für viele Fragen sorgt auch die Tatsache, dass die Mutter mit beiden Kindern, nachdem sie den Missbrauch der Polizei gemeldet hatte, im Spital betreut wurde, die Kindstötung aber trotzdem nicht verhindert werden konnte. Rosa Logar spricht von einem immensen Druck, dem die Mutter wohl ausgesetzt war. Womöglich fand sie in ihrer Familie keine Unterstützung, sah keinen Ausweg, bis es zur Eskalation kam. Zuvor hätte es keinerlei Anzeichen auf eine Gewalttätigkeit der Mutter gegeben.

Ohne über den konkreten Fall zu spekulieren kenne sie viele Fälle, in denen Opfer in Familien auf wenig Unterstützung treffen. „Teils sind solche Familien sehr problematisch, Missbrauch geht oft über Generationen, selten wird eine Generation ausgelassen. Das geschieht subtil und manipulativ.“

Die Expertin: „Wir kennen die Macht und die Netzwerke pädophiler Täter. Auch in diesem Fall kann man so eine Verbindung zu einem Netzwerk nicht ausschließen. Grundsätzlich gilt: Je höher die gesellschaftliche Stellung, die Macht eines Täters, desto schwerer kann man sich zur Wehr setzen.“

Sie sieht massive Lücken im Schutz der Opfer – und auf Seiten der Strafverfolgung. Auch aus dem Fall des 2017 aufgedeckten Kinderpornorings kenne man Vernetzung und Macht von Missbrauchstätern. „Kinder werden permanent missbraucht. Aber dieses Kriminalitätsfeld gilt als weniger wichtig“, so Logar, die das sofortige Einsetzen einer Missbrauchs-Kommission im Justizministerium fordert, um solche Taten zu verhindern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Archivbild: Wiener Donauspital
Wien

Getötetes Baby: Missbrauch als Motiv?

Eine Mutter soll vergangene Woche in einem Wiener Spital ihren acht Monate alten Sohn getötet haben. Nun wurde bekannt, dass der Großvater zuvor das ältere Kind der Frau missbraucht haben soll. Er ist in U-Haft.
Wien

Mutter soll Baby in Wiener Spital erstickt haben

Die Wiener Polizei nahm eine offensichtlich psychisch kranke Frau fest, die ihren acht Monate alten Sohn in einem Spital getötet haben soll.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.