Syrien: Eskalation im Norden des Bürgerkriegslandes

Die Kämpfe eskalieren.
Die Kämpfe eskalieren.APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR
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Seit Beginn der Idlib-Offensive des Regimes sind 100.000 Menschen geflüchtet, viele von ihnen befinden sich nun an der türkischen Grenze. Ankara hat angekündigt, in die kurdischen Regionen einmarschieren zu wollen.

Damaskus. Ende Jänner steht die nächste Runde an: Russland, die Türkei und der Iran wollen im russischen Sotschi zusammenkommen, um die Syrien-Gespräche fortzusetzen. Zwei Wochen vor dem Treffen verhärten sich allerdings die Fronten. Insbesondere in der Provinz Idlib, im Nordwesten des Landes an der türkischen Grenze, eskaliert die Lage. Hier hat die Offensive des syrischen Regimes innerhalb weniger Tage zwei Dutzend Todesopfer gefordert.

Idlib ist die letzte Provinz, die noch zum allergrößten Teil von Rebellen kontrolliert wird: der Fatah al-Sham, einem al-Qaida Ableger. Jüngst konnten die Regimetruppen die Ortschaft Sinjar einnehmen und sich dadurch den Zugang zu einem Militärflughafen sichern. Seit Beginn der Idlib-Offensive zur Weihnachtszeit konnte Damaskus mit russischer Unterstützung zahlreiche Geländegewinne erzielen, gleichzeitig stieg die Zahl der Flüchtlinge dramatisch an. In wenigen Wochen sind UN-Angaben zufolge 100.000 Menschen geflohen, viele von ihnen befinden sich nun an der Grenze zur Türkei.

Aus Furcht vor einer weiteren Fluchtwelle fordert Ankara einen sofortigen Stopp der Offensive und erinnert daran, dass Russland, der Iran und die Türkei Idlib eigentlich zu einer Deeskalationszone erklärt haben. Nur: Von einer Waffenruhe wollen die Jihadisten nichts wissen. Und von seiner Idlib-Offensive will sich Syrien nicht abbringen lassen, wie es am Donnerstag aus Damaskus geheißen hat.

IS rückt in Dörfer ein

Indessen hat Fatah al-Sham ihre Kämpfer in der Nachbarprovinz Hama aus mehreren Dörfern abgezogen. In diese – es dürften rund zehn sein – ist nun der sogenannte Islamische Staat (IS) eingerückt. Der IS kontrolliert seit dem Verlust seiner Machtzentren wie Raqqa kaum mehr Gebiete im Bürgerkriegsland, versucht offenbar aber, zwischen Idlib und Hama wieder Fuß zu fassen. Etwa 40 Dörfer eroberte der IS in dieser Region, wie die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte schätzt.

Im Nordosten Syriens wird sich die Lage in absehbarer Zeit ebenfalls zuspitzen: Ankara kündigte an, in die kurdischen Regionen Afrin und Manbij einmarschieren zu wollen. Sonst würden die PKK und ihre syrische Schwesterorganisation YPG dort einen „Syrien-Terrorkorridor“ errichten, sagte der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan. Die Türkei war mit ihren Truppen schon in Nordsyrien: Das erklärte Ziel der Operation „Schutzschild Euphrat“ (von August 2016 bis März 2017) war, den IS von der Grenze zu verdrängen.

Mit Russland hat YPG in Afrin bereits kooperiert. Daher ist unklar, ob Moskau den türkischen Einmarsch in die Kurdenregion tolerieren wird. Afrin und Manbij werden in Sotschi sicher auf die Agenda kommen. Ebenfalls im Jänner will auch die UNO die Syrien-Gespräche in Genf fortsetzen. Bei den Friedensverhandlungen müsste die UNO federführend bleiben, heißt es von Syriens Opposition. Denn nach Sotschi seien sie nicht eingeladen worden. (ag./duö)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2018)

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