Am Dienstag greift der Altmeister ins Geschehen ein. Obwohl er sich durch den härtesten Turnierast kämpfen muss, kommen Statistiken, Analysen und Fans zum selben Ergebnis: Er wird auch mit 36 Jahren seinen Titel verteidigen.
Wien/Melbourne. Das ATP-Ranking ist eine Möglichkeit, es gibt aber noch andere Ansätze, die Spielstärke von Tennisprofis in Zahlen auszudrücken. Und manche haben durchaus ihre Vorteile gegenüber dem offiziellen Punktesystem. Das Elo-Rating etwa berechnet im Gegensatz zur Weltrangliste auch die Stärke der jeweiligen Gegner mit ein und berücksichtigt, wie deutlich Siege oder wie knapp Niederlagen ausgefallen sind. Das Turnier oder die jeweilige Runde spielen dabei keine Rolle. Die Top drei im Elo-Rating derzeit: Novak Djoković vor Roger Federer und Andy Murray (Weltrangliste: Rafael Nadal, Federer, Grigor Dimitrow).
Nimmt man dieses alternative Ranking und simuliert damit den Turnierverlauf der Australian Open, wie es die Game Insight Group 5000-mal getan hat, heißt der Melbourne-Sieger 2018 Roger Federer, und zwar mit 38,9-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Dass sich der Schweizer dafür durch das offensichtlich härteste Viertel des Rasters kämpfen muss (unter anderen mit David Goffin, Juan Martin Del Potro und Milos Raonic), bestätigen auch die Zahlen: In den leichteren Turnierast von Nadal gelost, wäre Federer gar zu 52,4 Prozent der Champion.
Dass der Altmeister großes Augenmerk auf solche Analysen legt, darf bezweifelt werden, er selbst hat in Melbourne erklärt: „Ich spiele meine Chancen herunter, weil ich einfach nicht denke, dass ein 36-Jähriger der Favorit bei einem Turnier sein sollte. Das sollte nicht der Fall sein.“ Ob er will oder nicht, die Statistik, sein Saisonstart 2018, die Buchmacher und auch die Tennisfans haben ihn längst wieder zum Titelanwärter Nummer eins gemacht.
„Nach all den Jahren voller Erwartungen war es angenehm, keine zu haben“, erinnerte Federer an 2017, als er nach sechsmonatiger Verletzungspause als Nummer 17 das Turnier sensationell zum fünften Mal gewann, dabei vier Top-Ten-Spieler verabschiedete. Was folgte waren sechs weitere Titel, darunter sein achter in Wimbledon, Federers Matchbilanz 2017: 52:5 (Hartplatz: 40:4). „Ich sitze heute hier, und alles ist anders als vor einem Jahr.“
Der Sprung an die Spitze
Die gut dreiwöchige Saisonvorbereitung in Dubai sei geradezu perfekt verlaufen, erzählte er. 2018 hat Federer auch noch keine Partie verloren, er gewann alle seine vier Einzelmatches beim Hopman Cup, gab dabei nur einen Satz ab (im Tiebreak gegen Alexander Zverev) und führte die Schweiz zum Titel. Die Bedingungen in Perth kommen jenen bei den Australian Open am nächsten.
Nicht unüblich für ihn hat sich der Basler in Melbourne einen Tag frei genommen und entspannt, ehe seine fünfköpfige Familie eingetroffen ist. „Zwischendurch muss ich runterkommen. Ich kann das, ohne dass es sich negativ auf mein Spiel auswirkt.“ Nachher verspüre er wieder mehr Lust, zu spielen, zu trainieren und die anderen Spieler in der Garderobe oder den Katakomben anzutreffen und sich mit ihnen auszutauschen.
Heute wartet auf den Weltranglistenzweiten eine Premiere. Gegen Aljaz Bedene, der seit heuer nicht mehr für Großbritannien, sondern für sein Geburtsland Slowenien aufläuft, hat Federer noch nie gespielt. Die Erstrundenpartie gegen die Nummer 49 steigt in der Rod Laver Arena (neun Uhr, live, Eurosport), der größte und zugleich langsamste Court der Anlage. „Ich hoffe, dass ich die ersten zwei Runden gewinnen kann und dann in Fahrt komme“, erklärte Federer. Zur Auslosung meinte er: „Die Auslosung ist immer schwierig. Jeder hier kann Tennis spielen.“
In Australien kann Federer sogar den Sprung zurück an die Spitze der Weltrangliste schaffen. Dazu müsste er das Turnier gewinnen und Dauerrivale Nadal das Viertelfinale verpassen. Zuletzt war Federer vor über fünf Jahren, am 22. Oktober 2012, die Nummer eins.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2018)