Leitartikel

Wie die Sparer ein Faulbett für Reformverweigerer finanzieren

Per übermäßiger Inflation und Niedrigzinsen greifen die Euroländer zwecks Staatssanierung ganz ungeniert auf die Sparvermögen ihrer Bürger zurück.

Die Inflationsrate ist in Österreich im Dezember nach dem international vergleichbaren harmonisierten Verbraucherpreisindex der EU (HVPI) also auf 2,3 Prozent gestiegen. Sieht üppig aus, ist aber das, was Notenbanker Normalität nennen: Die EZB spricht bei zwei Prozent Teuerung von „Preisstabilität“ – und hat diese Inflationsrate demgemäß als anzustrebenden „Zielwert“ gewählt. Wirtschaftssysteme wie das unsere brauchen ein bisschen Inflation, um klaglos zu funktionieren. Stagnieren die Preise auf breiter Front oder sinken sie sogar, dann gerät die Wirtschaft ins Stocken.

Die Normalität hat uns wieder. Aber leider nur auf der Preisseite, also sehr einseitig. Die Zinsen liegen dagegen weiter in der Gegend von null, was historisch gesehen eine große Ausnahme ist. Zinsen und Inflation passen also nicht mehr zusammen. Nicht nur in Ländern mit vergleichsweise starker Teuerung, wie Österreich. In der gesamten Eurozone ist die Inflationsrate mit 1,4 Prozent nicht mehr so weit vom EZB-Inflationsziel weg. Und die Konjunktur brummt unerwartet gut.

Trotzdem weigert sich die Euro-Notenbank, das Zinsgefüge den verbesserten ökonomischen Realitäten anzupassen. Sie macht sich damit zum Komplizen reformfauler europäischer Politiker – und fügt den Bürgern der Euroländer, zumindest jenen, die nicht verschuldet sind, enormen Schaden zu. Nur so als Anhaltspunkt: Aus 10.000Euro Guthaben auf dem praktisch zinsenlosen täglich fälligen Sparbuch wurden im Vorjahr reale 9780.

Große Profiteure sind, neben privaten Schuldnern, die Staaten: Sie bekommen Geld sozusagen gratis, während gleichzeitig die Staatsschulden entwertet werden. Der derzeit beobachtbare Rückgang der Staatsschuldenquoten in den meisten Euroländern (darunter auch Österreich) hat nämlich absolut nichts mit Strukturreformen oder Ausgabendisziplin zu tun. In absoluten Werten steigen die Schuldenstände ja munter weiter.

Es handelt sich ausnahmslos um eine Kombination aus überraschend starkem, auch dem globalen Aufschwung geschuldetem BIP-Wachstum und Entwertung der Staatsschulden durch Inflation. Das Ganze folgt durchaus einem Drehbuch: Schon vor Jahren hat eine Reihe von Ökonomen, darunter der ehemalige IWF-Chefökonom Kenneth Rogoff, die Kombination aus Inflation und Nullzinsen als bequemsten Weg aus der Schuldenfalle empfohlen. Und es lässt sich ja auch nicht wegdiskutieren: Hätten wir ein für dieses Konjunkturszenario normales Zinsenumfeld, dann würden einige Euroländer ganz schön an ihren Zinszahlungen kiefeln.


Mit dem Rezept Nullzinsen und Inflation hat die Euro-Notenbank den Euroländern also ein Faulbett verschafft, in dem es sich ganz vorzüglich und bequem räkeln lässt, ohne dass man seine Staatsbürger mit übertriebenen, oft unangenehmen Strukturreformen und/oder Ausgabenkürzungen nerven muss. Und sie nutzen das auch weidlich aus. Österreich übrigens ebenfalls: Während Reformen bisher nur in Absichtserklärungen und bunten Politbroschüren vorkommen und Ausgabendisziplin jede Sonntagsrede krönt, hat sich die alte Regierung mit einer Ausgabenerhöhung (Abschaffung des Pflegregresses) verabschiedet. Und die neue ist mit einer Ausgabenerhöhung (Kinderbonus) gestartet.

Die Budgetpolitik der Eurozone hat die Atempause, die ihr die Notenbankpolitik verschafft hat, also nicht genutzt – und macht im Wesentlichen weiter wie bisher.

Wer das zahlt, ist auch klar: Wir beobachten einen gewaltigen Vermögenstransfer von europäischen Sparern hin zu reformresistenten Regierungen. In Ländern mit hoher Inflation, etwa in Österreich, ist das besonders ausgeprägt. Mag sein, dass wir anders wirklich nicht aus der Staatsschuldenkrise kommen. Aber wenn der Staat zwecks Sanierung so ungeniert auf das Vermögen seiner Bürger zurückgreift, sollten wir im Gegenzug ultimativ einfordern, dass er seine Finanzen wenigstens im laufenden Geschäft in Ordnung bringt. Ein Reformfaulbett sollten wir nicht finanzieren wollen.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2018)

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