Bier aus alten Semmeln oder trockenem Kornspitz

Nur leicht schmeckt man das Gebäck heraus – man muss es schon wissen.
Nur leicht schmeckt man das Gebäck heraus – man muss es schon wissen.Die Presse
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Anstatt alte Semmeln wegzuschmeißen, werden sie zu Bier gebraut. Caterer Tobias Judmaier hat gemeinsam mit Braumeister Rainer Mraz das „Wasted Bio Bier“ entwickelt.

Der Mensch gewöhnt sich an alles. Leider auch an eher unschöne Dinge, die dann schnell in Vergessenheit geraten. So hören wir zwar seit Jahren regelmäßig, dass wir viel zu viele Lebensmittel wegschmeißen. Zu mehr als einem schlechten Gewissen reicht diese Nachricht aber meist nicht. Von dem kleinen Luxus, auch noch am Abend frisches Brot kaufen zu können, wollen wir einfach nicht abrücken. Also wird produziert und dann eben weggeschmissen – oder bestenfalls verfüttert.

Es gibt aber auch Ausnahmen, also Menschen, die sich darüber Gedanken machen, wie wir die Unmengen an Lebensmittel im Müll vermeiden können. Oder sich überlegen, was man aus unverkäuflichen Lebensmitteln, hartem Brot zum Beispiel, machen kann.

Tobias Judmaier (l.) und Rainer Mraz produzieren derzeit noch in Maria Enzersdorf Bier aus altem Gebäck.
Tobias Judmaier (l.) und Rainer Mraz produzieren derzeit noch in Maria Enzersdorf Bier aus altem Gebäck.Die Presse

Tobias Judmaier beschäftigt sich seit rund fünf Jahren mit dem Thema. Gemeinsam mit David Gross betreibt er das Bio-Catering-Unternehmen „Iss mich“, bei dem mit aussortierten Biolebensmitteln gekocht wird. Die beiden sind auch für die YouTube-Serie „Waste Cooking“ verantwortlich. Mittlerweile gibt es neben dem Catering auch eine Greißlerei, ein Bistro und ein Lieferservice (mit dem Fahrrad). Die Greißlerei war es auch, die Judmaier auf die Idee gebracht hat, aus altem Gebäck Bier zu brauen, ist doch immer wieder etwas übrig geblieben.


Wie die alten Ägypter. „Neu ist die Idee nicht. Schon die alten Ägypter und Römer haben aus Brot Bier gebraut“, sagt Judmaier. „Aber die hatten natürlich eine andere Ausgangslage.“ Judmaier kooperiert dazu mit Braumeister Rainer Mraz, der am Klostergelände St. Gabriel in Maria Enzersdorf die kleine Brauerei Beerstarter betreibt, bei der sich auch Wanderbrauer einmieten können oder Kurse abgehalten werden.

Etwa ein Jahr lang haben Mraz und Judmaier an dem „Wasted Bio Bier“ gearbeitet. Vorerst gibt es das Bier in zwei Varianten: aus alten Semmeln wird ein Lager gebraut; aus Kornspitzen wird ein Creme Ale – ein obergäriges, nur leicht bitteres Ale, das dem Lager ähnlich ist. Man habe sich bewusst für die beiden Bierstiele entschieden. „Das Lager ist das Lieblingsbier der Österreicher. Wir wollten kein neues Kreativbier, sondern ein Bier, das die Leute gern trinken“, sagt Mraz. Im Vordergrund stehe das Bier, nicht die Inhaltsstoffe. Tatsächlich schmeckt man das Gebäck nur dann leicht heraus, wenn man davon weiß.


Steinharte Semmeln. Für den Brauprozess muss das Gebäck – das übrigens von Joseph Brot stammt – trocken sein, besser gesagt steinhart. Etwa 15 Prozent macht der Anteil der Semmeln (oder eben der Kornspitze) derzeit aus. „Ich möchte das aber auf 20 bis 25 Prozent steigern“, sagt Mraz. Bevor die harte Semmel verarbeitet wird, wird sie in Würfel geschnitten. Semmelbrösel oder gar vermahlene Semmeln würden sich nicht eignen. „Im Gegensatz zu Gerste hat die Semmel ja keine Filtereigenschaften.“ Deshalb wird sie eben gewürfelt und mit geschrottetem Gerstenmalz vermischt. „Man muss das Semmelbier von Haus aus stärker einbrauen und dann runterverdünnen, damit man die passende Stammwürze hat“, so der Braumeister. Deshalb brauche der Brauvorgang auch um gut 20 Prozent mehr Zeit – und auch ein bisschen mehr Platz. „Das Gebäck hat ein anderes Schüttvolumen als Gerstenmalz. Zwei oder drei Kilogramm Brot haben dasselbe Schüttvolumen wie 15 Kilogramm Malz“, erklärt Judmaier.

Ansonsten durchlaufen die eingemaischten Semmelwürfel dieselben Prozesse wie die Gerste: von der Maischepfanne in den Läuterbottich bis zur Würzpfanne. Sechs Wochen dauert es, bis das Bier fertig ist. Der Brauprozess selbst braucht etwa sechs bis acht Stunden, die Hauptgärung kommt auf vier bis fünf Tage, die Reifung auf drei bis fünf Wochen. So entstehen aus einem Kilogramm Semmeln rund 35 Liter Bier.


Skepsis vorm Abfallprodukt. Derzeit wird das Bier vor allem in der eigenen Greißlerei verkauft. Judmaier ist aber auf der Suche nach Partnern, allen voran Bäckereien, bei denen das Bier verkauft werden kann. „Das ist aber schwierig, anfangs waren alle sehr skeptisch. Jetzt, wo das erste Bier ausverkauft ist, geht das vielleicht leichter“, sagt Judmaier. Er hat im Zuge seiner Arbeit oft die Erfahrung gemacht, dass die Leute zwar generell die Idee, aussortierte Lebensmittel zu verwenden, gut finden. Aber niemand will mit einem Abfallprodukt zu tun haben. Taucht doch bei Produzenten, sobald sie sich mit dem Thema beschäftigen, die unangenehme Frage auf, wie viel Überschuss sie selbst produzieren.

Mittlerweile ist die Nachfrage nach dem „Wasted Bio Bier“ so groß, dass Judmaier nicht nur Handelspartner sucht, sondern auch andere Betriebe, die hartes Brot oder Gebäck zur Verfügung stellen – extra welches zuzukaufen, kommt für die beiden natürlich nicht infrage. „Leider oder eigentlich Gott sei Dank ist das Gebäck aus der Greißlerei mittlerweile zu wenig. Wir könnten viel mehr Bier brauen“, sagt Mraz. Da trifft es sich gut, dass er seine Brauerei im Februar von St. Gabriel in Maria Enzersdorf nach Bruck an der Leitha übersiedelt. Dort können dann wesentlich mehr als die 1000 Flaschen (à 0,30 Liter) pro Abfüllung gebraut werden. „Ich kann jetzt hier sieben Hektoliter pro Tag brauen, am neuen Standort sind es zwölf“, sagt Mraz.

Die ersten sind die beiden mit ihrem „Wasted Bier“ übrigens nicht. Die Bäckerei Therese Mölk, die in Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Kärnten an die 250 MPreis-Filialen beliefert, hat Ende 2016 gemeinsam mit der Brauerei Bierol ein „Baker's Bread Ale“ auf den Markt gebracht. Auch einen Gin aus altem Brot (namens „Herr Friedrich“) produziert die Bäckerei mittlerweile. „Beim Gin können wir deutlich mehr Altbrot verarbeiten. Für 200 Liter Gin werden 1000 Kilo Altbrot gebraucht, beim Brot sind es 50 Kilogramm Brot auf 800 Liter Bier“, sagt Stefanie Graber von der Bäckerei Therese Mölk. Das Brot darf übrigens nur deshalb verarbeitet werden, weil es zuvor abgepackt in den Supermarkt-Filialen war (siehe unten).

Und dann gibt es da auch noch die Möglichkeit, Brot zu Schnaps zu brennen, wie es zum Beispiel die Waldviertler Granitdestillerie mit altem Brot aus der Bäckerei Kasses macht. Unter die Schnapsbrenner will Tobias Judmaier derzeit nicht gehen. Aber er könne sich durchaus ein größeres Biersortiment vorstellen. Brotbier zum Beispiel oder auch Bier aus alter Brioche.

Auf einen Blick

Tobias Judmaier und David Gross haben in Kooperation mit Braumeister Rainer Mraz ein Bier aus alten Backwaren (Lager aus Semmeln, Creme Ale aus Kornspitzen) gebraut. Erhältlich ist das „Wasted Bio Bier“ über die Greißlerei und das Bistro von Judmaier und Gross (1., Biberstraße 22; 7., Lindengasse 56). wasted-bio-bier.at Gebraut wird bei Beerstarter in Maria Enzersdorf: www.beerstarter.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2018)

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