Mobile Pflege

Der "Roboter" aus der Slowakei

Veronika Felder
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von Veronika Felder

63.025 Menschen waren im letzten Quartal 2017 als selbständige Personenbetreuer in der Altenpflege gemeldet.

Das Haus verlassen Katarina (richtiger Name der Redaktion bekannt) und Poldi nur selten. Ab und zu spazieren sie durch die Straßen der kleinen Siedlung in Wels, die inmitten von Feldern liegt und besuchen die befreundeten Senioren in der Nachbarschaft. Manchmal steht ein Besuch im örtlichen Krankenhaus an oder Einkäufe müssen erledigt werden. Und sonntags, da essen sie gelegentlich auswärts. Das alte Ehepaar von nebenan, ist dann auch mit von der Partie. Katarina setzt sich ans Steuer, die drei Senioren nehmen auf Beifahrersitz und Rückbank Platz und zusammen fahren sie, extra langsam, ins Stammrestaurant.

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Katarina ist eine Frau mittleren Alters, sie hat kurze rote Haare, ist groß, korpulent. Man sieht ihr an, dass sie anpacken kann, und das muss sie auch in dem Beruf den sie ausübt. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie in der Altenbetreuung. Zuerst zehn Jahre lang in der Slowakei, ihrem Heimatland. Vor zehn Jahren kam sie nach Österreich, wegen dem Geld und der höheren Anzahl an Arbeitsplätzen in der privaten Personenbetreuung. 23.837 Personen erhielten im Jahr 2016 eine Förderungsleistung für die 24-Stunden-Betreuung, 8,6 Prozent mehr als im Jahr davor. Bedenkt man, dass die meisten Förderungsempfänger monatlich abwechselnd zwei Betreuer im Zwei-Wochen-Rhythmus angestellt haben, eröffnet sich ein nicht zu unterschätzender Arbeitsmarkt.

"Manchmal bin ich wie der Herr General"

Im Laufe ihrer Karriere hat sie schon viele alte Menschen gepflegt. Sie hat für sie gekocht, sie zu Bett gebracht, sie geduscht, hat sie zum Arzt begleitet, ihnen Medikamente verabreicht. Zurzeit ist Katarina für die 86-jährige Poldi zuständig. Sie wohnt bei ihr, kümmert sich um sie. Zwei Wochen lang, 24 Stunden am Tag. Dann wird sie abgelöst von einer Kollegin und kann nach Hause fahren, zu ihren erwachsenen Kindern und ihren Eltern.

Wenn Katarina von ihrem Leben erzählt lacht sie oft. Es ist ein lautes und ansteckendes Lachen, und folgt oft auf Geschichten, die eigentlich gar nicht zum Lachen sind. Doch gerade, bei Poldi zuhause, ist sie zufrieden. Die Familie ist nett und sie und Poldi verstehen sich auch ganz gut. Poldi ist noch recht agil, nur leichte Altersdemenz macht sich bemerkbar. Den Haushalt könnte sie alleine jedoch nicht mehr bewältigen. „Manchmal, dann bin ich wie der Herr General, dann muss Poldi gehorchen. Aber immer auf eine nette Art. Sie ist auch manchmal böse mit mir. Dann rede ich aber einfach weiter und sie vergisst dann schnell, dass da eigentlich etwas war“, erzählt Katarina.

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Dass die zwei perfekt aufeinander eingestimmt sind, merkt man schnell: Wenn Katarina und Poldi sich am großen, altmodischen Holztisch im Wohnzimmer gegenübersitzen und im Kaffee rühren, den Poldi bestellt und Katarina gebracht hat und sich über Poldis Enkel unterhalten. Wenn Poldi zum wiederholten Mal erzählt, dass Katarina die Vanillekipferl, die zwischen ihnen auf einem Teller liegen, nach ihrem Rezept selbstgebacken hat, und Katarina ihr lachend antwortet, dass sie das schon mehrmals erzählt hat. Und wenn Poldi geduldig zuhört, wenn Katarina laut und überschwänglich über dies und jenes in gebrochenem Deutsch redet.

"Roboter bin ich keiner"

Nicht immer jedoch ist die Situation zwischen 24-Stunden-Betreuerin und Patient so angenehm. Dabei geht es oft um ganz grundlegende Dinge. „Man weiß nie was einen erwartet, wenn man zu einem neuen Patienten kommt. Man weiß nicht ob man sich gegenseitig sympathisch sein wird. Das spielt aber eine große Rolle“, erzählt Katarina. „Oft handelt es sich auch um psychische Belastungen, denen man als Betreuerin ausgesetzt ist. Man kocht für den Patienten und der sagt einem dann, man selbst dürfe aber nicht davon essen. Oder einem wird der übriggebliebene Rest einer Mehlspeise angeboten. Das ist dreist - wir sind ja keine Schweine.“

Außerdem kann es zu Unstimmigkeiten in der Definition des Terminus „24-Stunden-Betreuung kommen“, sagt Katarina. „In der Vergangenheit wurde von mir einmal verlangt nächtlich fünf bis sechs Mal aufzustehen, weil der Patient sich weigerte eine Windel zu tragen. Aber ich bin auch nur ein Mensch, und muss außerdem am nächsten Tag arbeiten. Aber die Leute sagen dann: du bist ja eine 24-Stunden-Betreuung. Ja, aber Roboter bin ich keiner.“  Dabei seien oft auch die Familienangehörigen das Problem, die immer nur für eine kurze Zeit zu Besuch kämen und die eigentliche Lage des Patienten nicht wirklich einschätzen könnten. „Sie bestreiten dann etwa, dass der Patient Beruhigungsmittel braucht, obwohl ich aber genau weiß, dass es ihm und auch mir damit bessergehen würde.“

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Manchmal würde von den Frauen außerdem erwartet, dass sie Aufgaben übernähmen für die sie eigentlich nicht zuständig sind, etwa auf Haustiere aufzupassen, erzählt Katarina. Obwohl die meisten Betreuerinnen selbständig sind und somit eigentlich das Arbeitsverhältnis auflösen könnten sobald sie sich unwohl fühlen, machen das viele nicht. Katarina sagt, dass sich viele Frauen nicht trauen würden und außerdem Angst davor hätten nicht unmittelbar anschließend einen neuen Patienten zugeteilt zu bekommen. „Viele Frauen bleiben, weil sie das Geld brauchen. Dann weinen sie oder sind andauerndem Stress ausgesetzt und sind froh, wenn sie endlich nach Hause fahren können“, erzählt Katarina.

Vermittlungsagenturen im Profitrausch?

Für das Zusammenbringen von Betreuerin und Patient sind meistens Vermittlungsagenturen zuständig, die sich in ihrer Qualität oft sehr unterscheiden. Generell gilt jedoch der Grundsatz, dass sowohl die Familien als auch die Betreuerinnen die Agenturen für die Vermittlung und den Support bezahlen. Die Agentur legt außerdem den Tagessatz der Betreuerinnen fest, Mindestlohn gibt es keinen. Sobald der Vertrag zwischen Familie und Betreuerin zustande gekommen ist, spielt die Agentur keine Rolle mehr. Das Gehalt wird direkt von der Familie an die Betreuerin ausbezahlt, welche in den meisten Fällen ein freies Gewerbe der sogenannten „Personenbetreuung“ angemeldet hat.

Bruttogehalt und Abgaben können dabei stark variieren. 1250 Euro Brutto verdient Katarina ungefähr in den zwei Wochen in denen sie durchgehend bei Poldi arbeitet. 850 Euro bleiben ihr davon circa Netto übrig, abzüglich der Sozialversicherungsabgaben und Reisekosten. Das Geld muss für den ganzen Monat reichen. Da sie an Poldi über eine Freundin vermittelt wurde, muss sie zurzeit keine Abgaben an eine Agentur zahlen.

Die Preise der Agenturen können ungefähr zwischen zehn und 50 Euro im Monat festgemacht werden. In vielen Fällen würden die Agenturen aber keine Unterstützung für die Betreuer bereitstellen, erzählt Katarina. „Du musst dich bei den Agenturen bewerben, sie wollen dich dann sehen und du musst ihnen Arbeits- und Deutschzeugnisse schicken. Sie helfen dir meistens mit der Anmeldung des Gewerbes und dann vermitteln sie dich an eine Familie. Aber dann machen sie oft nichts mehr für dich. Ich kenne Frauen, die hatten an ihrem Arbeitsplatz nicht einmal ein Bett. Sie mussten im Flur auf einer Liege schlafen. Manche Agenturen wollen nur das Geld, aber manche sind besser.“  Die Konditionen des Hilfswerks etwa liegen bei einem Tagessatz von 68 Euro Brutto, pro Beschäftigungsmonat müssen die Betreuer zehn Euro abgeben, wodurch man auf ein monatliches Bruttogehalt von 942 Euro kommt.

Die staatliche Geldspritze

In der Slowakei würde Katarina heute fast genauso viel verdienen wie in Österreich, nämlich um die 700 Euro. Dann wäre sie allerdings als Assistentin im Krankenhaus angestellt. Das Problem sei aber, dass es nicht viele Arbeitsplätze in diesem Bereich gäbe. Bei den Vergaben der Stellen würden außerdem jüngere Kolleginnen bevorzugt, sagt Katarina. Jobs in der 24-Stunden-Pflege seien kaum vorhanden, da die Rentner eine sehr kleine Pension bekommen würden und es kaum Unterstützung vom Staat gäbe, erzählt sie.

In Österreich erhalten pflegebedürftige Menschen Pflegegeld, das sich mit steigendem Pflegebedarf erhöht. Für die 24-Stunden-Pflege gibt es zusätzliche Förderungen. Befindet sich eine Person in der höchsten Pflegestufe beläuft sich die Unterstützung auf 1688,90 Euro monatlich. Werden zusätzlich zwei Pflegerinnen beschäftigt, kommen weitere 550 Euro hinzu.

Die Finanzierung der 24-Stunden-Pflege ist dank Pflegegeld und zusätzlicher Förderung jedenfalls gedeckt. Ein Platz im öffentlichen Altersheim kostet im Vergleich dazu bis zu 3500 Euro monatlich. Viele Familien bevorzugen daher die Beschäftigung einer 24-Stunden-Pflegerin.

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Auch Poldi ist froh darüber, dass sie ihr zuhause nicht verlassen muss. Nur durch Frauen wie Katarina ist es möglich, dass sie auch weiterhin darin wohnen kann. Nahezu 24 Stunden am Tag kümmert sich Katarina um Poldi und ihre Sorgen, Schmerzen und Wünsche. Nur zwei Stunden nimmt sich Katarina täglich für sich. Gesetzlich würden ihr drei Stunden Ruhepause zustehen. „In meiner Freizeit kann ich nicht im Haus bleiben, da muss ich zum Spazieren rausgehen. Sonst werde ich verrückt“, sagt sie. Einmal in den zwei Wochen trifft sie sich mit einer Freundin, die auch in der Altenbetreuung arbeitet „aber ich möchte in den freien Stunden nicht auch noch über alte Menschen sprechen, deswegen bin ich lieber alleine“. Manchmal, wenn sie zusammen mit Poldi ihre Runden in der Nachbarschaft dreht, unterhält sich Katarina aber mit der alten Dame von gegenüber. „Die ist in der Tschechoslowakei geboren, die versteht mich, mit der kann ich slowakisch sprechen“, sagt Katarina und lacht ihr lautes und ansteckendes Lachen.

Der Keksteller, der zwischen Poldi und Katarina auf dem Tisch steht ist fast leer. „Wir müssen wieder backen, falls diese Woche noch Gäste kommen“, sagt Poldi und schaut Katarina an. Katarina grinst und verdreht die Augen: „Jaja, Poldi. Du wirst nichts machen. Ich werde wieder backen.“

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