Bundeshymne-Debatte: Einig lass in Brüderchören

Christina Stürmer
Christina Stürmer(c) EPA (Peter Klaunzer)
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Der Text der österreichischen Hymne wird derzeit wieder einmal debattiert. Zu diesem Anlass: ein Streifzug durch 43 europäische Hymnentexte. Mit vielen Brüdern, keinen Schwestern, etwas Blut und wenig Wein.

Heimat bist du großer Söhne: Für eine Kampagne des Bildungsministeriums hat Popsängerin Christina Stürmer statt dieser Zeile der österreichischen Bundeshymne „Heimat bist du großer Söhne und Töchter“ gesungen. Darauf drohte der Sessler-Verlag, der die Erben der Texterin Paula von Preradovic vertritt, mit Klage, und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SP) plädierte für eine Änderung der Hymne.

Es ist nicht der erste Versuch, sie einem „Gender Mainstreaming“ zu unterziehen: Schon in den Neunzigerjahren wollten Abgeordnete der Grünen und des Liberalen Forums den Text ändern; 2002 sang Tini Kainrath im Ernst-Happel-Stadion anlässlich des Fußball-Länderspiels Österreich gegen Kamerun „Große Töchter, große Söhne“; 2005 schlug Frauenministerin Maria Rauch-Kallat (VP) vor, die Zeile auf „Heimat großer Töchter, Söhne“ zu ändern. Vergeblich.

Nun schlug Ulrich N. Schulenburg, der Geschäftsführer des Sessler-Verlags, vor, den Text weitläufiger umzugestalten – und etwa auch die „nicht mehr zeitgemäße“ Passage „Land der Hämmer“ zu ändern. Das legt die Frage nahe: Wie „zeitgemäß“ sind andere Hymnen? Finden sich in ihnen auch nur Söhne? Brüder oder auch Schwestern? Besingen auch andere Nationen Berge und Ströme? Um das Sample nicht zu groß zu machen, haben wir uns nur die Hymnen der Länder Europas angesehen. Von den 47 Staaten haben 43 Hymnen mit Text.

Die spanische Hymne, der „Marcha Real“, hat seit fast 250 Jahren keinen offiziellen Text, erst unlängst ist ein Versuch, sie mit einem solchen auszustatten, an negativen Reaktionen gescheitert. Auch die „Inno nazionale“ von San Marino ist wortlos. Im Kosovo wählte das Parlament 2008 eine Hymne namens „Europa“ – bewusst ohne Text, um Konflikte mit ethnischen Minderheiten zu vermeiden. In Bosnien und Herzegowina wird derzeit ein Text zur Hymne „Intermeco“ vom Parlament geprüft.

Väter kämpfen, Mütter weinen. Hymnen, in denen die Geschlechter gleichberechtigt nebeneinander stehen, sind selten. Im ungarischen „Himnusz“ ist von „Söhnen und Töchtern“ die Rede, an anderer Stelle nur von Söhnen; in Lettland blühen die Töchter, während die Söhne singen; in der belgischen „Brabançonne“ heißt es nur „Fortan singen deine Söhne“; in Litauen singt man von einer Kraft „aus vergang'nen Tagen“, die den Söhnen sprießen soll. Die Brüder werden nie von Schwestern begleitet: In Italien stehen sie genauso allein wie in Serbien, in Norwegen, in der Slowakei, in Weißrussland und in der Ukraine, wo explizit bezeugt wird, „dass unsere Herkunft die Kosakenbrüderschaft ist“. Und auch im Vereinigten Königreich sollen die Völker nur erkennen, „that men should brothers be“.

Häufig wird dagegen das Land selbst als weiblich angesprochen: „Ich wurde als Fürstin geboren, als Jungfrau“, singt man in Andorra (wobei als Vater Karl der Große genannt wird); Belgien wird als „teure Mutter“ bezeichnet; die Montenegriner sehen sich als Söhne der Felsen ihrer „Mutter Montenegro“; die Bulgaren bitten gar: „Mutter, gib uns männliche Kraft, ihren Weg (den Weg der gefallenen Kämpfer, Anm.) weiterzugehen.“ Auch in Norwegen ist die Rollenteilung klar. „Alles, was die Väter erkämpft haben, was die Mütter erweint“, habe Gott vollbracht, heißt es, und in einer weiteren (meist allerdings nicht gesungenen) Strophe: „Selbst Frauen standen auf und stritten, als ob sie Männer wären.“ Dazu passt eine Zeile aus der albanischen Hymne: „Wer ein Mann ist, der ist ohne Furcht, und wenn er stirbt, dann wie ein Held.“

Konkrete „große Männer“ nennen die Hymnen von Andorra (Karl der Große), Norwegen (Harald, Olaf), Polen (Jan Henryk Dabrowski, Stefan Czarniecki), Rumänien (Michael der Tapfere, Stefan der Große, Matei Corvin) und Ungarn (Árpad, Mátyás). Die niederländische Hymne, vielleicht die älteste der Welt (gesungen ab dem 16.Jahrhundert, offiziell erst seit 1932), ist in der ersten Person verfasst: Es spricht Wilhelm I. von Oranien-Nassau, „von deutschem Blut“, Führer im niederländischen Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien.

Zu den Waffen. Gekämpft wird überhaupt viel in Europas Hymnen, in 14 ist explizit von kriegerischen Handlungen die Rede, wobei das dezente österreichische „Heiß umfehdet, wild umstritten“ nicht eingerechnet ist.In Portugal ruft man ebenso „zu den Waffen“ wie in der französischen Marseillaise; die „Fratelli d'Italia“ sollen, „bereit zum Tod“ sein, wenn Italien ruft, schließlich habe Gott ja die Siegesgöttin Victoria „als eine Sklavin Roms erschaffen“. Dieses Lied entstand 1847 als Kampflied der Risorgimento-Bewegung, es enthält Zeilen, die Alfred Adler gefallen hätten: „Wir wurden seit Jahrhunderten getreten und ausgelacht, weil wir kein Volk sind, weil wir geteilt sind.“

Der Grieche erkennt im „Ymnos is tin Eleftherian“ (Hymne an die Freiheit) sein Vaterland „an der Klinge des Schwertes, der gewaltigen“. In Norwegen „schärfen Bauern ihre Äxte“. Die irische Hymne ist dezidiert ein „Soldatenlied“, mit Kanonendonner und Flintenschüssen. Geradezu gemütlich mutet dagegen ein Szenario in der dänischen Landeshymne (nicht zu verwechseln mit der Königshymne) an: „Dort saßen in der Vorzeit die behelmten Kämpfer und ruhten sich vom Streite aus.“

Der Feind kommt in sieben Hymnen vor: In Albanien ist für ihn „hier kein Platz“, im irischen „Soldier's Song“ wartet „der angelsächsische Feind da draußen“. Konkret angesprochen werden (historische) Gegner auch in Italien („Der österreichische Adler hat schon die Federn verloren“), in Polen („Der Deutsche und der Moskauer werden sich hier nicht ansiedeln“) und in Ungarn („Die stolze Wiener Burg stöhnte“), wo allerdings nur die erste Strophe gesungen wird, in der es heißt: „Dies Volk hat schon gebüßt für Vergangenes und Kommendes.“ Interessante Wendung in Norwegen: Nachdem der Feind sein Visier geöffnet hat, stellt er sich als „unser Bruder“ heraus.

Findet man auch Frieden in Hymnen? Selten. Luxemburg ist „vom Frieden still bewacht“, Weißrussland bezeugt sich gleich in der ersten Zeile selbst: „Wir sind ein friedliches Volk.“ In Malta soll Gott „uns alle in Einheit und Frieden stärken“; in der Türkei soll der Halbmond „dem Heldenvolk, das dir sein Blut geweiht“, seinen Frieden schenken.

Blut fließt in sechs Hymnen, wenn auch meist in Strophen, die nicht mehr gesungen werden. In Belgien wird es der Heimaterde zugeeignet, in der Marseillaise soll gar „das unreine Blut unserer Äcker Furchen tränken“, wobei manche Interpreten meinen, dass mit dem „unreinen Blut“ das „blaue Blut“ der Adeligen gemeint sei.

Schütze es, o Herr. In Österreichs Hymne wird die religiöse Sphäre nur dezent angedeutet („Land der Dome“, „frei und gläubig“), in 17 Hymnen kommt dagegen Gott explizit vor: Albanien, Estland, Island, Italien, Lettland, Liechtenstein, Malta, Monaco, Niederlande, Norwegen, Russland, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowenien, Ungarn und natürlich Vatikanstaat. In Rumänien wird zwar Gott nicht angesprochen, aber es heißt: „Priester, geht voraus mit den Kreuzen, denn das Heer ist christlich, die Devise heißt Freiheit und der Zweck ist hochheilig.“

Freiheit heißt die Devise in gezählten 18 Hymnen, wobei meist die Freiheit von äußeren Feinden gemeint ist. In Monaco versichert man einander, dass „wir zu keiner Zeit Sklaven gewesen“ seien, die Deutschen wünschen ihrem Vaterland „Einigkeit und Recht und Freiheit“, in Rumänien „rufen alle: ,Leben in Freiheit oder Tod!‘“

Zweimal, in Luxemburg und Mazedonien, wird die Sonne mit der Freiheit assoziiert. Sonst wird unser Stern oft der Nation zugesellt: „die Sonne Litauens“, „die Sonne vergoldet Thrakien“ (Bulgarien), „deine Sonne, deinen Himmel“ (Schweden). Überraschend selten ist die Heimaterde (Luxemburg, Norwegen, Russland, Schweden), ein rares Motiv ist auch das der Gräber: „So lange das Grab seine Toten bedeckt“, liebe der Kroate sein Volk, heißt es etwa. Noch raunender das serbische Pendant: „Aus finsterem Grab leuchtet des serbischen Ruhms neuer Schein.“

Berg und Tal und Strand. Landschaftliche Reize, wie sie in unserer Hymne recht pauschal gepriesen werden, kommen europaweit gar nicht so oft vor. Bekennende Länder der Berge sind Bulgarien („stolzes altes Gebirge“ = Balkan), Liechtenstein („Alpenhöh'n“), Schweiz („Alpenfirn“), Slowakei („Es blitzt über der Tatra“), Ungarn („heilige Karpatengipfel“). In Montenegro singen die „Söhne deiner Felsen“: „Wir lieben euch, harte Berge, und eure gefürchteten Gebirgsketten.“ Betont vielseitig sind Finnland („Berg und Tal und Strand“) und Kroatien („Lieb bist du uns, wo du eben bist, lieb, wo du Gebirge bist“).

Meeresaffin sind die Hymnen von Dänemark („lieblich Land am salz'gen Ostseestrand“), Kroatien („blaues Meer“) und Portugal („Helden des Meeres, edles Volk“). Flüsse werden genannt in Kroatien (Save, Drau, Donau), Luxemburg (Alzette, Sauer, Mosel), Ungarn (Theiß, Donau), Polen (Weichsel, Warthe). „Oben am jungen Rhein“ lautet der Anfang der Hymne Liechtensteins, im ursprünglichen Text, in dem das „kleine Vaterland“ noch „auf Deutschlands Wacht“ stand, hieß es „Oben am deutschen Rhein“.

Auf die siebte Strophe des Gedichts „Zdravljica“ (Trinkspruch) eingegrenzt wurde die slowenische Hymne: So entfiel viel Martialisches, es blieb die schöne Forderung, dass „jedermann nicht Feind, nur Nachbar mehr fortan“ sein möge. Aber auch die Rebe und ihr „Labetrunk“ wird somit nicht mehr gelobt. Bleiben zwei Länder mit Wein in der Hymne: Luxemburg („Wo die Rebe entlang der Mosel duftend blüht, der Himmel Wein uns macht“) und Ungarn, wo die Strophe mit dem Nektar von den Tokajer Hängen aber offiziell nicht mehr gesungen wird.

Einzigartig ist das Thema der moldawischen Hymne „Limba nostra“: Sie preist die moldawische Sprache, die u.a. mit dem „Rauschen der ewigen Wälder“ verglichen wird. Ähnlich exklusiv ist eines der Attribute Österreichs: Hämmer kommen in keiner anderen europäischen Hymne vor.

Siehe S.14: Oliver Pink über Melodien von Hymnen.

Land der Berge

Am 22.10.1946 erklärte der Ministerrat die Melodie des „Kettenlieds“ aus Mozarts „Freimaurerkantate“ zur Hymne. Ob es tatsächlich von Mozart oder einem seiner Logenbrüder stammt, ist umstritten.

Am 25.2.1947 wurde der von Paula von Preradovi? verfasste Text zum Hymnentext erklärt – mit leichten Änderungen: z.B. „arbeitsfroh“ statt „stolzen Muts“, „frei und gläubig“ statt „festen Glaubens“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2010)

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