„Der seidene Faden“: Machtspiel von Modezar und Muse

(c) Laurie Sparham / Focus Film/ Universal
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In „Der seidene Faden“ gibt Daniel Day-Lewis einen brillanten Modeschöpfer – und Vicky Krieps seine widerspenstige Muse. Ein opulentes und intelligentes Liebesdrama.

Der spanische Modedesigner Cristóbal Balenciaga war ein öffentlichkeitsscheuer Mensch – so sehr, dass manche seine Existenz anzweifelten. Dem außerordentlichen Leumund seiner Arbeit tat das jedoch keinen Abbruch. Balenciagas Haute Couture versetzte die High Society der 1950er und 1960er in Ekstase. Er war Leibschneider von Filmstars und Fürstinnen, ein geheimnisumwitterter Stilbildner, den Kunden und Kollegen verehrten: Christian Dior nannte ihn „unser aller Meister“.

Ein Balenciaga-Biopic ist Paul Thomas Andersons jüngstes Leinwandwerk nicht – doch dass der Mythos um den Mode-Gott es inspiriert hat, daraus macht er keinen Hehl. Nach dem Ölrausch-Historienepos „There Will Be Blood“ suchte er Ideen für eine weitere Zusammenarbeit mit dem Meistermimen Daniel Day-Lewis – und entdeckte ihre gemeinsame Faszination für Balenciaga. Aus Gesprächen schälte sich das Drehbuch für ein Beziehungsdrama namens „Der seidene Faden“ („Phantom Thread“ im Original). Heute startet es in den heimischen Kinos.

Darin gibt Day-Lewis den fiktiven Modeschöpfer Reynolds Woodcock, der im Nachkriegs-London am Zenit seines Erfolgs steht. Wir begegnen ihm bei seiner peniblen Morgenroutine: Nasenhaare trimmen, lange Socken hochziehen, Hemd in die Hose stecken. Im Anschluss geht es ans Herrichten anderer: Reiche Damen stehen Schlange für seine exquisiten Kleider. Aber Woodcock ist kein eitler Fatzke – er lebt nur für sein Werk. Day Lewis, der wie immer völlig in seiner Rolle verschwindet, spielt ihn mit der kantigen Souveränität eines Monomanen und der Zerbrechlichkeit eines kleinen Buben.

Nur Frauen umgeben ihn in seiner geräumigen Modeburg: Eine Armada großmütterlicher Schneiderinnen und die gestrenge Assistentin Cyril (toll: Lesley Manville), der man kaum anmerkt, dass sie auch Woodcocks Schwester ist. Überdies spukt die geliebte, verstorbene Mutter im Kopf des Genies herum und stört seine Konzentration. Ein Ausflug aufs Land soll wieder Klarheit schaffen. Dort trifft Woodcock die junge Kellnerin Alma (Vicky Krieps) – und glaubt, seine Muse gefunden zu haben. Aus einer früheren Szene weiß man: Sie ist nicht die erste.

Liebe, ein ständiges Tauziehen

Vielleicht rechnet man an dieser Stelle mit einer Pygmalion-Geschichte: Künstler-Kontrollfreak zwängt Geliebte in Wunschform und beraubt sie ihrer Menschlichkeit. Oder andersherum: Die Liebe einer reinen Seele rettet brillanten Neurotiker vor sich selbst. Doch Anderson ist kein Freund narrativer Schablonen. Stattdessen porträtiert er die Partnerschaft als stetiges Ringen um Vorherrschaft. Denn Alma ist kein unbedarftes Hascherl. Schon bei ihrem ersten Date sagt sie Woodcock ins Gesicht, dass sie seine Selbstbeherrschung für eine Fassade hält.

Trotzdem möchte er ein Mannequin aus ihr machen: „Du hast keine Brüste“, sagt er, als er ihren Körper vermisst. „Das macht nichts“, fügt er an, „es liegt an mir, dir welche zu geben. Wenn ich es will.“ Zunächst behauptet Woodcock seine Dominanz. Doch dann erhebt Alma Anspruch auf einen Platz in seinem Leben. Als er ihr diesen nicht gewähren will, greift sie zu drastischen Mitteln.

Das klingt fast wie ein Thriller. Es ist aber bloß die Liebe zwischen zwei Menschen mit starkem Willen, die die Form eines Spiels um Macht, Respekt und Hingabe annimmt. Wie „Fifty Shades of Grey“, nur ohne Reitpeitsche – aber dafür mit überraschend viel trockenem Humor. Und obwohl Anderson nicht mit sinnlichen Großaufnahmen von Stoffen und Schnüren geizt, könnte der Film auch in einem völlig anderen Milieu spielen. Woodcock klingt sicher nicht zufällig wie eine Verballhornung von Hitchcock. Und der Figurenname Alma erinnert nicht von ungefähr an Alma Mahler.

Gefilmt ist diese ungewöhnliche Romanze mit glühend kalter Eleganz. Mal verweist es mit fließenden Überblendungen und gleitenden Kamerafahrten auf klassische Hollywood-Melodramen, mal fühlt man sich wie in einem Kammerspiel von Ingmar Bergman. Erstmals seit seinem Kurzfilmdebüt ist Anderson sein eigener Bildgestalter – und arbeitet viel mit wechselnden Lichtstimmungen. Zusammengehalten wird alles von Johnny Greenwoods opulenter Orchester-Musik – und nicht zuletzt von den Performances, die vor feinen Nuancen nur so flirren. Day-Lewis hat verkündet, sich nach „Phantom Thread“ zur Ruhe setzen zu wollen. Sollte er darauf beharren, wäre es ein mehr als würdiges Abschiedswerk. Die gebürtige Luxemburgerin Krieps, die auch in Marie Kreutzers Bobo-Porträt „Was hat uns bloß so ruiniert“ zu sehen war, kann aber locker mit ihm mithalten. Ihr gehört der stolze Schlüsselsatz des Oscar-nominierten Films: „Niemand kann so lange Modell stehen wie ich“. Nur, wer den anderen aus-stehen kann, gewinnt am Ende die Oberhand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2018)

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