Großbritannien: Giftanschlag auf russischen Exspion?

Die Polizei riegelte nach dem Zusammenbruch des Ex-Geheimagenten unter anderem ein lokales italienisches Restaurant ab.
Die Polizei riegelte nach dem Zusammenbruch des Ex-Geheimagenten unter anderem ein lokales italienisches Restaurant ab. (c) REUTERS (TOBY MELVILLE)
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Der Exagent Sergej Skripal ringt nach plötzlichem Kollaps um sein Leben. Sein Schicksal erinnert an den Fall Litwinenko.

London. Normalerweise kann man sich kaum einen ereignisloseren Ort als das zentrale Einkaufszentrum The Maltings in der südwestenglischen Kleinstadt Salisbury an einem Sonntag vorstellen. Zwischen einen Großmarkt mit einem Parkplatz mit 614 Stellplätzen und dem benachbarten Stadtzentrum mit mittelalterlicher Kathedrale haben Stadtplaner eine kleine Grünfläche mit ein paar Bänken gezwängt. Hier nahmen am Sonntagnachmittag ein älterer Herr und eine junge Frau Platz. Was seither geschah, hält nun Großbritannien in Atem, denn wieder einmal könnte ein russischer Agent einem Anschlag zum Opfer gefallen sein.

Die Faktenlage ist bisher dünn: Wie die Behörden mittlerweile bestätigten, handelt es sich bei den beiden Personen um den 66-jährigen Sergej Skripal und seine Tochter Julia, Mitte 30. Laut Augenzeugen kollabierten sie kurz nacheinander auf der Parkbank: „Sie schienen völlig außer sich. Er machte seltsame Bewegungen mit der Hand in Richtung Himmel, sie schien bei ihm Halt zu suchen“, berichtete Freya Church der BBC.

„Schwerwiegender Fall“

Wenige Minuten nach dem Zusammenbruch der beiden trafen Rettungs- und Sicherheitsdienste ein. Skripal und seine Tochter befinden sich seither im örtlichen Spital. Ihr Zustand sei „sehr ernst“. Nach der Ursache ihres plötzlichen Kollapses wird fieberhaft gesucht, der Verdacht lautet auf Vergiftung. „Wir haben es mit einem schwerwiegenden Zwischenfall zu tun“, sagt Ermittlungsleiter Craig Holden.

Der Schauplatz ist ebenso abgeriegelt wie ein italienisches Restaurant und ein Pub. Wieder einmal suchen Experten in Schutzanzügen einen Schauplatz Zentimeter für Zentimeter ab. Genau das hat man in Großbritannien schon einmal gesehen: Vor knapp zwölf Jahren wurde der ehemalige russische Geheimagent Alexander Litwinenko im Zentrum Londons mit Polonium vergiftet. Er starb qualvoll.

Sein Bild ging damals um die Welt. Heute sind es die Parallelen zum Fall Litwinenko, die in dem neuen Fall erneut für Aufregung. Wie Litwinenko hatte Skripal einst für den russischen Geheimdienst gearbeitet, und zwar für den Militärgeheimdienst. Offenbar aus finanziellen Motiven nützte er seine Stelle zur Weitergabe von Informationen an den britischen Auslandsgeheimdienst MI6. Russland kam ihm auf die Schliche, 2006 wurde er zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt. Nach vier Jahren durfte er in einem hochrangigen Agentenaustausch nach Großbritannien ausreisen. Seine Überstellung erfolgte über Wien.

Skripal ließ sich in Salisbury mit Frau, Tochter und Sohn nieder. Er bezog ein Haus, das er „ohne Hypothek bar bezahlte“, wie das örtliche Register festhielt. Die Familie lebte zurückgezogen, aber ohne erkennbare Probleme. „Er lud alle Nachbarn zu einer Willkommensparty, danach grüßten wir uns, wenn wir uns auf der Straße sahen“, sagt ein Bekannter. In kurzer Folge starben zuletzt Skripals Frau und Sohn, beide an Krebs.

Die britischen Ermittlungsbehörden betonten, dass sie vorerst nicht von einem „terroristischen Hintergrund“ ausgingen. Allerdings schließe man „nichts aus“, wie Untersuchungsleiter Holden sagte. Der stellvertretende Chef von Scotland Yard, Mark Rowley, wurde deutlicher: „Offensichtlich handelt es sich um einen ungewöhnlichen Fall, und es wird entscheidend sein, rasch zu den Ursachen vorzustoßen.“ Das schließe Ermittlungen in „Antiterror-Netzwerke“ ein.

Starke Worte wählte Außenminister Boris Johnson. Es sei zwar „noch nicht klar, was in Salisbury geschehen ist“. Er fügte aber unter klarer Anspielung auf den Fall Litwinenko hinzu: „Die Abgeordneten werden schon ihre Verdachtsmomente haben.“ Sollten sich diese bewahrheiten, „wird unsere Regierung alle Maßnahmen ergreifen, die wir für notwendig erachten, um Menschenleben, unsere Werte und unsere Freiheit zu schützen.“

Von russischer Seite ernteten die Briten eine direkte Absage: „Wir haben keine Informationen zu diesem tragischen Zwischenfall“, sagte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow in Moskau. In zahlreichen Wortmeldungen war zugleich von einer Verschwörung gegen Russland und besonders Präsident Wladimir Putin, der sich am 18. März der Wiederwahl stellt, die Rede.

Auf einen Blick

Ein russischer Ex-Spion, Sergej Skripal, und seine Tochter sind in Großbritannien unter mysteriösen Umständen schwer erkrankt, sie befinden sich in kritischem Zustand. Der Fall weckt Erinnerungen an den Giftmord am russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko vor zwölf Jahren. Die Regierung in London droht Russland mit Sanktionen, sollte Moskau hinter der Erkrankung Skripals stecken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2018)

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