Shootingstar der Zwischenkriegszeit: Gezeichnet von Krieg und Drogen

Brosch zeichnete in seiner Akademiezeit eine ganze Serie dieser verlassenen, zerlemperten, vermenschlichten Schuhe, die in der Orangerie jetzt eine Wand füllen. „Der Invaliden Dank“, 1915.
Brosch zeichnete in seiner Akademiezeit eine ganze Serie dieser verlassenen, zerlemperten, vermenschlichten Schuhe, die in der Orangerie jetzt eine Wand füllen. „Der Invaliden Dank“, 1915.(c) Orangerie im Unteren Belvedere
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Der Linzer Zeichner Klemens Brosch galt in der Zwischenkriegszeit als Shootingstar. Jung erlag er seiner Drogensucht.

Die Geschichte des frühreifen Genies, das Klemens Brosch war, ist so tragisch wie vergessen. Zumindest außerhalb von Linz, jedenfalls in Wien, wo seit 1982 im Palais Palffy keine Einzelpräsentation dieses Zwischenkriegs-Zeichners zu sehen war. Das Belvedere hat gerade einmal drei Blätter von ihm in der Sammlung, der große Rest ist in Linzer Museen verwahrt, wo Brosch hoch geehrt wird, erst 2016/17 wurde ihm im Oberösterreichischen Landesmuseum und im Nordico-Stadtmuseum eine große Retrospektive ausgerichtet. Es war eine der letzten Ausstellungen, die Stella Rollig als Lentos-Chefin eröffnete, sie brachte Brosch also sozusagen im Gepäck mit ins Belvedere, inklusive der Expertin für dessen Werk, Elisabeth Nowak-Thaller.

Ein Glücksfall, durchaus, so kann man sich in der Orangerie jetzt endlich ein Bild machen von diesem aus Wiener Sicht mysteriösen, angeblich verkannten, jedenfalls tragischen Wunderkind, das durch den Weltkrieg zum Drogensüchtigen wurde und sich mit 32 am Pöstlingberg das Leben nahm. Nach vielen Morphium- und Kokainentzügen legte Brosch sich dort im Dezember 1926 im blauen Skianzug auf ein Grab und chloroformierte sich mit einer Gasmaske zu Tode. Ein geplanter Selbstmord, er hinterließ mehrere Abschiedsbriefe.

Einer davon beschließt auch die Wiener Ausstellung, allerdings ohne Transkription. So steht man ein wenig verzweifelt und schaudernd vor diesen gestochen scharf geschriebenen Zeilen, die man doch nicht lesen kann (jedenfalls nicht jeder). So ähnlich geht es einem mit diesem ganzen Werk. Es wirkt sehr beeindruckend, von den technisch unglaublichen, feinsten Zeichnungen aus der Schulzeit – Brosch wurde schon vom Vater, einem Hauptschuldirektor und Fotografiepionier, gefördert – bis zu den späten malerischen Fantasy-Visionen im Drogenrausch, die aussehen wie aus den „Star Wars“-Filmen, nur eben aus den 1920er-Jahren.

Zwischen diese Pole hat Brosch eine enorme Palette an Stilen und Inhalten gepackt, die einen überfordert mit ihrem Wust an Einflüssen von Goya über Max Klinger bis zu pompöser Kinoästhetik. Auch früheste Konzeptkunst findet sich – eine ganze Wand voll Zeichnungen ausgetretener Schuhe von 1915, die sich wohl auf ein Schuhpaar van Goghs zurückführen lassen (siehe Bild).

Mit Kubin war er nicht bekannt

Gemalt hat Brosch sie in Wien, an der Akademie. Die Berufung des Buben war klar, der Weg vorgezeichnet – „Zeichnen ist Schicksal“, wie schon der andere große oberösterreichische Zeichner, Alfred Kubin, es formulierte (der Brosch übrigens, völlig unbegreiflicherweise, nicht gekannt haben dürfte). Ohne Aufnahmeprüfung wurde Brosch in Wien angenommen. Ein Jahr zuvor schon hatte er als Maturant eine Art Linzer Secession mitgegründet, den „März“, den Vorfrühling sozusagen, gemeinsam u. a. mit Franz Sedlacek, dem späteren Maler einer Art fantastischen Sachlichkeit. Brosch war also gewohnt, Erfolg zu haben, an der Akademie gewann er alle Preise, alle Stipendien, die es zu gewinnen gab. Er war ein „Shootingstar“, bezeichnet es Kuratorin Nowak-Thaller.

Dieser frühe Erfolg erklärt vielleicht auch einen Teil der späteren Zerrüttung, die vor allem aber einem geschuldet war, dem Krieg. 1914 meldete Brosch sich noch freiwillig. Nur eineinhalb Monate hielt es dieser Augenmensch aber an der Front in Galizien aus. Lunge, Herz waren zu schwach, er litt an Ohnmachtsanfällen, schließlich wurde er vom Kriegsdienst befreit und kehrte an die Akademie zurück. Diese eineinhalb Monate veränderten trotzdem alles. In gespenstischen Zeichnungen sieht man, was er sah, wie er nicht wegschauen konnte von den Gräueln, von Erhängten, Erschossenen, Verhungerten, mit seinen für jedes Detail geschulten Augen. Es sind extrem harte Zeichnungen, die besten wirken wie überbelichtete Fotos. Dieser fotografische, später anscheinend auch filmische Blick ist es, den man herausheben sollte aus diesem stilistisch manchmal unentschlossenen Werk, ihm kann man folgen, er führt einen auf die sichere, auf Broschs höchsteigene Seite.

Der Schrecken reichte für ihn weit über den Krieg hinaus. Er war während seines Einsatzes mit Morphium in Kontakt gekommen und ihm verfallen. Auch während seiner anschließenden Akademiezeit, die bis 1919 dauerte, kam er nicht mehr davon los. Seine Frau war ebenfalls Morphinistin, gemeinsam rutschten sie in die Wiener Drogenszene ab, dann in die Linzer. 1920 veränderte sich dadurch Broschs Werk, das Zeichnen fiel ihm schwerer, es wurde malerischer, die Szenen dramatischer, fantastischer, psychotischer, bis zu einem irren, wie eine Kulisse für „Jurassic Park“ wirkenden Dinosaurier-Fries. Es folgen mehrere Entzugsversuche, Selbstmordversuche mit und ohne seine Frau, und schließlich, 1926, die finale Tat.

Das Wunderkind, so stellt man es sich zumindest vor, wird von den Bildern, die es rief, verschlungen. Man blickt auf das „Ex Libris“, das er für sich zeichnete: Ein junger Mann, die nackte Künstlerexistenz, hockt auf einer Riesenhand, die den Zeichenstift hält. Sie ist wie eine Faust hochgereckt ins unendliche Weltall. Brosch blickt darauf wie gebannt hinauf in dieses Sternenmeer, ein Abwenden unmöglich.

Brosch, bis 3. Juni, tägl. 10 bis 18 Uhr, Fr. bis 21 Uhr.

("Die Presse", Printausgabe, 10.03.2018)

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