Frankreichs missglückte Debatte über Nationalidentität

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Symbolbild(c) AP (Andy Wong)
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Frankreich debattierte über seine nationale Identität - und löste damit Misstrauen und Ressentiments aus. Der Minimal-Kompromiss: An Schulen soll die französische Flagge wehen und die "Marseillaise" erklingen.

Paris. Eigentlich war zum Abschluss der Debatte über die nationale Identität ein großes Kolloquium mit prominenten Teilnehmern geplant. Letztendlich wurde die akademische Erörterung dieser Frage mit Historikern und Philosophen durch ein banales Regierungsseminar ersetzt.

Denn die Frage der nationalen Identität hatte weniger patriotische Gefühle und den Wunsch einer Besinnung auf die Grundwerte der Republik geweckt als eine Riesenpolemik über den Zweck einer Debatte, die schnell einmal auf Abwege geriet. Für die Regierung stellte sich die Frage, wie sie die geweckten Geister der Fremdenfeindlichkeit und namentlich der Islamophobie nun wieder möglichst schadlos loswerden könnte.

Die betroffene Bevölkerung fand zudem laut Umfragen mit einer Zweidrittelmehrheit, dass die Debatte erstens „nicht konstruktiv“ sei und zweitens mehr wahlpolitische Hintergedanken als Sorge um den nationalen Konsens enthülle. Auch innerhalb der Regierungspartei UMP fanden es manche, wie die Ex-Premierminister Alain Juppé und Jean-Pierre Raffarin, höchst bedenklich, wenn nicht sogar kompromittierend für Frankreichs Ruf, wie rasch dabei gewisse Hemmschwellen fielen. Statt den nationalen Zusammenhalt zu fördern, stärkte die Debatte das Misstrauen, die Ressentiments und Feindbilder. Und auch im Ausland spottete man über diese Nabelschau der Franzosen, die immer mehr zur Peinlichkeit wurde.

„Beerdigung erster Klasse“

Für den Initiator, Immigrationsminister Eric Besson, der sich schon als Dirigent der Nationalphilharmonie wähnte, wurde die dissonante und von allen Seiten kritisierte Debatte zum Fiasko. Premierminister François Fillon blieb es überlassen, am Ende der Beratung von 30 Regierungsmitgliedern für die überfällige Beendigung der Debatte eine „Beerdigung erster Klasse“ zu organisieren, wie beispielsweise die Regionalzeitung „La Montagne“ meinte.

Fillons Problem bestand jedoch darin, dass die positive Ausbeute dieser Debatte kaum große Ankündigungen zuließ. So blieb ihm nicht viel mehr übrig, als auf seiner Pressekonferenz am Montagabend lauter offene Türen einzurennen.

Er fordert, dass künftig auf allen öffentlichen Schulen die Trikolore wehen müsse – was bereits heute fast überall der Fall ist. Die Nationalhymne, die „Marseillaise“ soll in jeder Schule ein Mal pro Jahr gesungen werden; das steht schon seit 2005 offiziell im Unterrichtsprogramm. Neu ist aber: Die Menschenrechtserklärung aus dem Jahr 1789 soll in jedem Klassenzimmer an die Wand gehängt werden, und jeder Schüler bekommt eine Broschüre für Jungbürger mit staatsrechtlichen Informationen, die als Grundlage für einen ausgebauten Bürgerkundeunterricht dienen soll.

Ist die Welt in Ordnung?

Immerhin gibt es in Frankreich einen Konsens: Das Klassenzimmer ist die Schule der Nation. Solange also noch die Trikolore auf dem Schulgebäude weht und die „Marseillaise“ aus Kinderkehlen erklingt, ist Frankreichs Welt in Ordnung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2010)

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