Zehn Milliarden Euro will Rainer Seele für Zukäufe ausgeben, um Österreichs größten Industriebetrieb noch einmal zu verdoppeln. Europa spielt in der neuen Strategie kaum eine Rolle.
London. Zugegeben, das Timing ist nicht gerade perfekt. Just an dem Tag, an dem OMV-Chef Rainer Seele den Investoren in der Londoner City die Neuausrichtung seines Konzerns vorstellen will, spricht das Land nur darüber, ob und wie Großbritannien auf den mutmaßlich russischen Giftanschlag auf einen Doppelagenten reagieren soll. Ausgerechnet Russland, spätestens seit Seeles Antritt, 2015, einer der engsten Verbündeten des heimischen Öl- und Gaskonzerns.
Gut also, dass der Manager den potenziellen Geldgebern eine Wachstumsstory mitgebracht hat, die nicht Moskau, sondern große Zahlen in den Mittelpunkt stellt. Zehn Mrd. Euro will das Unternehmen in den kommenden sieben Jahren ausgeben, um zu expandieren. Bis 2025 soll die OMV mit 600.000 Fass Öläquivalent am Tag fast doppelt so viel Öl und Gas aus der Erde holen wie heute, die Raffineriekapazitäten verdoppeln und das bereinigte Ergebnis auf fünf Mrd. Euro heben. Um Europa macht der teilstaatliche Energieversorger bei seinen Plänen einen großen Bogen. Der Markt in Europa stagniere, sagt Seele. Auch Russland habe im nächsten Kapitel der OMV keine Priorität. „Die Musik spielt künftig in der Region Asien und Pazifik.“ Nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur werden bis 2030 rund 90 Prozent der zusätzlichen Ölnachfrage und 70 Prozent der zusätzlichen Nachfrage nach petrochemischen Produkten aus den Ländern rund um Indien und China kommen. Einen Teil dieses Wachstums will sich die OMV mit Zukäufen „in kostengünstigen und reservenreichen Regionen“ sichern. Derzeit hat das Unternehmen lediglich eine kleinere Operation in Neuseeland. Das Land soll künftig als Brückenkopf für die weitere Expansion dienen.
Das Kleingeld ist da
Das notwendige Kleingeld für die Einkaufstour sollte die OMV allerdings haben. In den vergangenen Jahren hat sich das Unternehmen von etlichen Beteiligungen getrennt und auch die internen Kosten um 330 Mio. Euro im Jahr gesenkt. Die Nettoverschuldung liegt bei zwei Mrd. Euro, der Verschuldungsgrad bei 14 Prozent. Allein der operative Cashflow der nächsten drei Jahre sichere dem Unternehmen ausreichend Manövriermasse (gut zwölf Mrd. Euro) für Investitionen und weitere Zukäufe. Details zu möglichen Übernahmezielen gab es am Dienstag aber nicht.
Gut möglich ist jedoch, dass die ersten Deals nicht in Asien, sondern im Nahen Osten realisiert werden. Hier, wo die OMV mit dem Kernaktionär Mubdala (früher Ipic) einen starken Partner hat, verhandelt das Management seit einiger Zeit über gemeinsame Projekte mit der staatlichen Ölgesellschaft Adnoc. Wie auch in Asien wird es nicht nur um Öl- und Gasförderprojekte gehen. Die Hälfte der Zukäufe sind für den sogenannten Downstream-Bereich reserviert, gehen also in die Ausweitung und den Umbau des Raffineriegeschäfts. Der Fokus auf Benzin und Diesel wird angesichts der schwindenden Nachfrage in Europa aufgegeben. Stattdessen investiert die OMV eine Mrd. Euro, um künftig mehr petrochemische Produkte und Flugzeugtreibstoffe liefern zu können. Konkrete Projekte werden auch hier nicht genannt.
Und so muss vorerst doch wieder Russland aushelfen, wenn es darum geht, die Produktion von 348.000 auf 600.000 Fass Öläquivalent zu heben. Schon der Kauf des Viertelanteils am Feld Juschno Russkoje wird die Produktion heuer auf 400.000 Fass heben. Glückt bis Jahresende der lange angekündigte Einstieg beim Feld Achimov IV, kommen weitere 80.000 Fass hinzu. Und die OMV ist weiter auf der Suche nach Möglichkeiten, ihr Geld in Russland zu investieren. Mit Gazprom, versteht sich.
Treueschwur an Gazprom
„Wir tanzen nur auf einer Hochzeit“, schwört Rainer Seele seinem Partner die Treue. Schließlich braucht er ihn auch, um seine Expansionsfantasien im Gasbereich zu realisieren. Heute produziert das Unternehmen vorrangig Öl, bis 2025 soll Erdgas bis zu 60 Prozent der Produktion stellen. Dann will die OMV auch doppelt so viel Gas in Europa verkaufen wie heute. Notwendig sei dafür der Bau der umstrittenen russischen Ostseepipeline Nord Stream 2, beteuert das Management. Die EU-Kommission zweifelt allerdings daran, dass neue Leitungen nach Europa sinnvoll sind und verzögert das Projekt. Ein Problem für seine Strategie sieht Seele darin nicht: „Wir hängen nicht von Nord Stream 2 ab“, sagt er. Es sei Europa, das letztlich darunter leiden werde, sagt Vorstandskollege Manfred Leitner: „Die Nord Stream 2 ist kein Wunsch von uns, sie ist eine Notwendigkeit für die Versorgungssicherheit des Kontinents.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2018)