Volkstheater: Vernebelte Familienhölle

Fotoprobe mit Mann und Bill
Fotoprobe mit Mann und Bill(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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"Eines langen Tages Reise in die Nacht" im Volkstheater: Atmosphärisch gelungen, Maria Bill und Dieter Mann reüssieren als Eltern einer zerrütteten Familie.

So also sieht die Wohnhöhle einer amerikanischen Künstlerfamilie in deren Sommerhaus 1912 aus: An der Rampe, am Ende einer schiefen Ebene, steht, mit der Rückseite zum Publikum, ein senffarbenes Sofa, das beinahe die ganze Breite der Bühne des Wiener Volkstheaters einnimmt. Mitten im Raum ist ein Würfel aus Leder platziert, eine Bar für Whiskey und Soda. In einem fast leeren Raum hat sich an diesem Augusttag von morgens bis weit nach Mitternacht in nuce die jahrelange Tragödie der Familie Tyrone abgespielt.

So also sieht die Hölle aus, die der amerikanische Dramatiker Eugene O'Neill in seinem autobiografischen, postum 1956 veröffentlichten Vierakter „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ fast 30Jahre später zu bewältigen versuchte: der Vater James Tyrone (Dieter Mann), ein trunksüchtiger Geizhals, der einst als Schauspieler groß war und nun nur noch an Grundstücksspekulationen denkt, die Mutter Mary (Maria Bill) eine morphiumsüchtige Frau, deren Abhängigkeit nach der komplizierten Geburt des jüngeren Sohnes Edmund (Till Firit) begann (der Eugene O'Neills ähnelt). Er hat immer schon gekränkelt. Der Vater sei schuld, heißt es, weil er am Arzt sparte, einen Quacksalber holte, der den Sohn verpfuschte und die Mutter drogenabhängig machte.

An diesem Sommertag wird sich herausstellen, dass der angehende Schriftsteller Eddie an Schwindsucht leidet – das beschleunigt den Untergang der Familie. Abgerundet wird das Sittenbild vom älteren Bruder Jamie (Günter Franzmeier) – Schauspieler wie der Vater, aber nicht so erfolgreich, alkoholkrank wie dieser, aber noch exzessiver und heimtückisch im Rausch. Dann weiß er genau, wie verloren diese Familie ist. Das Hausmädchen Cathleen (Patricia Hirschbichler) legt bei aller Dienstbarkeit spürbare Verachtung über die Herrschaft in ihre Auftritte.

Scheinbare Idylle. Am Beginn aber steht bei dieser atmosphärisch gelungenen Inszenierung von Thomas Schulte-Michels die scheinbare Idylle. Lachend betritt das Ehepaar Tyrone die Bühne, er scherzt über die dralle Figur der Frau, die vor Kurzem aus dem Sanatorium heimgekommen ist. Etwas übertrieben sind die Glücksbezeugungen der beiden, die nur durch den Lärm der Söhne im Hintergrund zuweilen gestört werden. „So ganz wie früher!“, hoffen sie, und dieser Satz trägt schon den Keim der Verzweiflung in sich. Bill und Mann beherrschen die Gratwanderung zwischen ehrlicher und gespielter Freude, dem Wissen und Verdrängen von Unglück. Schulte-Michels hat die dafür erforderlichen Tempowechsel exakt geplant. Jeder hat vor jedem etwas zu verbergen, also spielt jeder mehrere Rollen, je nachdem, wer gerade auf- oder abtritt.

Der erste klare Bruch ergibt sich im Gespräch zwischen dem Vater und dem älteren Sohn. Eben noch haben die Brüder ausgelassen von einem hässlichen Streit von Nachbarn in der Bar erzählt, irgendwie wurde auch die Krankheit von Eddie erwähnt. Als der und die Mutter den Raum verlassen haben, hagelt es wechselseitige Vorwürfe, garniert mit Shakespeare-Zitaten. Als Mary zurückkehrt, wechselt schlagartig der Ton. So also sehen Lebenslügen aus: Der Vater und Jamie gehen ab, im Dialog von Mary und Eddie wird anfängliches Bemuttern von wachsendem Misstrauen abgelöst. Eddie weiß nun, dass die Mutter sich wieder Morphium spritzt.

Jungen bleiben im Schatten. Maria Bill spielt diese beginnende neue Abhängigkeit mit großer Könnerschaft, wie eine Sucht ist für sie nun das Kratzen und Zupfen am Kleid. Mehr und mehr benutzt sie bei den traurigen Monologen die Rampe zur Verstärkung ihres Leids. Das wirkt ausgesprochen authentisch. Auch Dieter Mann versteht es, die Schwächen des Patriarchen mit subtilen Modulationen der Stimme und zurückhaltender Mimik und Gestik nach und nach immer stärker hervorzukehren. Bei Franzmeier wirkt das nicht ganz so glatt, bei Firit noch gröber. Die Jungen bleiben vor allem im schwierigeren Beginn im Schatten der Älteren, wirken im expressiven Finale dann aber etwas stärker.

Es ist Abend geworden, Nacht. Das Sofa auf der Bühne konfrontiert nun das Publikum, ungeschützt präsentiert sich diese Familie in ihrem Zerfall. Vorne im Zentrum die Bar, an der sich die Herren reichlich bedienen, wenn sie ihre Lebensbeichten ablegen, sich vor allem aber gegenseitig fertig machen. Immer wieder ertönt ein Unheil verkündendes Nebelhorn. Man weiß jetzt, dass Eddie ins Sanatorium muss, Mary hat sich in der Apotheke mit Morphium aufmunitioniert. Sie fragt sich, warum denn der Nebel so trostlos sei, sie wirkt geisterhaft entrückt. Die Droge hat sie wieder im Besitz. Im letzten großen Monolog hat Mary ihr Brautkleid mitgebracht, träumt von Jugend, Liebe, klösterlicher Erlösung. Wie abwesend trägt Bill diesen traurigen Text vor, es wirkt seltsam abrupt, wenn sie schließlich nach hinten entschwindet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2010)

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