Gastkommentar

Handelskriege kennen keine Sieger

Europa sollte weder den Interessen der französischen Agrarlobbys noch den Finanzierungswünschen der EU-Kommission geopfert werden. Gefragt wäre nun Deeskalation.

Europa hat eine Verschnaufpause im Handelsstreit mit den USA erwirken können, aber Präsident Donald Trump wird nicht locker lassen. Das Damoklesschwert höherer Zölle auf Aluminium, Stahl und schließlich auch deutschen Autos lässt er an einem dünnen Faden hängen, weil er die US-Produzenten schützen möchte.

Dabei nimmt er die Belastung der amerikanischen Verbraucher in Kauf. Wie stets setzt sich das Produzenteninteresse gegenüber dem Verbraucherinteresse durch, weil der Streitwert pro Kopf bei Ersteren höher als bei Letzteren ist und sie deshalb stärkere Lobbys aufbauen können.

Die EU-Kommission hat gedroht, auf die neuen Zölle der USA mit eigenen Strafzöllen auf Importe aus Amerika zu reagieren. Sie hat eine Liste möglicher Sanktionen ausarbeiten lassen, die von Zöllen auf die Einfuhr von Harley-Davidson-Motorrädern bis zu Einzelprodukten reicht, um bei den betroffenen US-Produzenten Gegendruck auf Trump zu erzeugen. Das hat offenbar gewirkt.

EU kein Hort des Freihandels

Doch so plausibel diese Reaktionen der EU-Kommission auf den ersten Blick erscheinen mögen, sie führen in die falsche Richtung. Denn sie leisten einem Handelskrieg Vorschub, der allen schadet, weil er die Arbeitsteilung unterminiert. Wie echte Kriege lassen sich Handelskriege nicht gewinnen.

Mit ihrem Säbelrasseln setzt sich die Kommission dem Verdacht aus, dass sie deshalb bereit ist, selbst höhere Zölle zu verlangen, weil die Zolleinnahmen ihr zufließen. Zwar werden die Zolleinnahmen bei den anstehenden Budgetverhandlungen mit den EU-Ländern berücksichtigt. Viele Beobachter werden allerdings den Eindruck gewinnen, dass die Kommission angesichts der neuen Finanznot, die durch den Brexit ausgebrochen ist, Hintergedanken hat, wenn sie bereit ist, einen Zollkrieg zu beginnen.

Die EU-Kommission sollte auch deshalb nicht mit Steinen werfen, weil sie selbst im Glashaus sitzt. Es kann nämlich keine Rede davon sein, dass Europa der Hort des Freihandels ist, während in Amerika der Protektionismus grassiert. Fakt ist, dass die EU die Autoimporte aus den USA mit zehn Prozent besteuert, während die USA selbst nur 2,5 % erheben, ganz abgesehen von der Einfuhrumsatzsteuer in Höhe des Mehrwertsteuersatzes, die die EU systembedingt außerdem noch verlangt.

Sicher, diese Asymmetrie ist entstanden, weil man den USA einen besseren Schutz des geistigen Eigentums im Trips-Abkommen zugestanden hatte. Dennoch lassen sich die hohen europäischen Zölle nicht rechtfertigen, weil sie das Interesse der europäischen Verbraucher unterminieren.

Besonders hoch sind die europäischen Importabgaben im Bereich der Agrarprodukte. Von Anbeginn an war die europäische Wirtschaftsgemeinschaft durch einen faulen Kompromiss zwischen Deutschland und Frankreich bestimmt, der den französischen Bauern überhöhte Preise im Ausgleich dafür bot, dass Deutschland seine Industriewaren nach Frankreich liefern durfte.

Dieser Kompromiss hat ein System des Agrarprotektionismus geschaffen, das bis heute Bestand hat. So wird zum Beispiel Rindfleisch beim Import mit 69 und Schweinefleisch mit 26 Prozent belastet. Im Schnitt liegen die europäischen Agrarpreise wegen der hohen Einfuhrabgaben um ca. 20 % über dem Weltmarktniveau.

Der europäische Agrarprotektionismus ist ein allseitiges Ärgernis. Er belastet die Verbraucher in der gesamten EU und trifft vor allem ärmere Bevölkerungsschichten, die einen großen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen.

Agrarprotektionismus als Joch

Und er schädigt die Entwicklungsländer, die ihre Agrarprodukte – oft die einzigen Produkte, die sie haben – nicht nach Europa liefern können. Die Nachteile, die der Agrarprotektionismus für die Entwicklungsländer bedeutet, wiegen nach einer schon älteren Untersuchung des kanadischen Ökonomen John Whalley schwerer als die Vorteile aus der Entwicklungshilfe.

Auch die US-Bauern gehören zu den Verlierern der europäischen Politik, weil ihnen der europäische Absatzmarkt verwehrt wird. Insofern hat Präsident Trump mit seiner Kritik durchaus recht. Es ist nicht in Ordnung, dass Europa die Nahrungsmittel blockiert, die in den USA deutlich billiger zu haben sind, als man sie hierzulande erzeugen kann.

Europa sollte weder den Interessen der französischen Agrarlobbys noch den Finanzierungswünschen der EU-Kommission geopfert werden. Es sollte eine Deeskalationsstrategie anstreben, indem es den USA anbietet, seine eigenen Zölle abzubauen und die Verhandlungen zum TTIP-Abkommen wiederaufzunehmen.

Dann könnte Trump zu Hause einen Sieg proklamieren – und zugleich würde der europäische Lebensstandard steigen. Der amerikanische Präsident hätte Europas Verbraucher vom Joch des Agrarprotektionismus befreit.

Copyright: Project Syndicate, 2018.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Hans-Werner Sinn (* 1948 in Brake) ist Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Uni München. Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung sowie Berater des deutschen Wirtschaftsministeriums; Honorarprofessor an der Uni Wien. Zahlreiche Bücher, zuletzt: „Der Euro. Von der Friedensidee zum Zankapfel“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2018)

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