Fotografie: Typisch Bürgerkind eben

Konterkariert August Sanders strenge Typologien: Hanna Putz, „Untitled (Verena Dengler 2)“, 2017.
Konterkariert August Sanders strenge Typologien: Hanna Putz, „Untitled (Verena Dengler 2)“, 2017.(c) Hanna Putz
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Typologien sind etwas Heikles. Eine unbekannte Pionierin und ein berühmter Pionier der dokumentarischen Fotografie um 1900 sind gerade in Wien ausgestellt.

Wer hätte damit gerechnet – dass gerade diese so technisch wirkenden historischen Aufnahmen von Großbaustellen, Stromgeneratoren, Militärfuhrwerken von einer Frau gemacht wurden. Dass sich hinter der Signatur „M. Strobl“ eine Marianne, kein Michael verbarg. Auch viele Sammler wussten nichts von diesem Schatz. Gehoben hat ihn erst Ulrike Matzer, die an einer Dissertation über frühe Wiener Berufsfotografinnen arbeitet, nach einem Tipp von Fotografiehistorikerin Monika Faber. In dem von Faber gegründeten „Photoinstitut Bonartes“ ist jetzt auch die erste Ausstellung über Strobl zu sehen. Während ihrer Laufzeit veränderte sich die Schau radikal – so viele Menschen, erzählt Kuratorin Matzer, brachten neue Funde.

Ein Gruppenbild rund um ein mächtiges Fass aus der „Weinkellerei Franz Leibenfrost“ in Döbling etwa, das Verleger Christian Brandstätter plötzlich zuordnen konnte. Oder der Kanalbau für das Kraftwerk Ungarfeld in Wiener Neustadt, das in der EVN-Sammlung auftauchte. Begonnen hat für Strobl, wohl nicht zufällig die Frau eines Amateurfotografen und Landvermessers, aber alles 1894 mit dem Militär-Auftrag, die „Typen der Landesfuhrwerke“ zu katalogisieren. Es folgte die Gewerbeanmeldung für ihr Atelier im Prater. Da war sie knapp 30, Mutter dreier Kinder, und signierte noch mit vollem Namen. Später wechselte sie zum neutralen „M. Strobl“, dafür in knallrotem Lack auf der Vorderseite. Was auch für ein entwickeltes Selbstbewusstsein steht: Immerhin gründete sie einen Berufszweig. Sie gilt als erste in der Fotogeschichte, die sich auf Industrie- und Produktfotografie spezialisiert hat. Bis dato sei das ein Nebenprodukt von Porträtfotografen gewesen.

Das Personal von „Meißl & Schaden“

Strobls (roter) Firmenstempel weist sie als „Blitzlicht-Specialist“ aus, ebenfalls hilfreich bei dieser Arbeit, die auch unterirdisch stattfinden konnte, etwa bei der mit damaliger Foto-Ausrüstung anspruchsvollen Dokumentation der Ötscherhöhlen-Expedition 1901. Alles ist bei diesen Aufnahmen geplant, ob die Arbeiter ihre Schaufeln in der Hand haben oder die Forscher ihre Jause auspacken. Schließlich sind es Image-Fotos, beauftragt von Firmen, vom Staat. Oder vom Personal des berühmten Hotels „Meißl & Schaden“ am Neuen Markt 1895 als „Ehrengabe“-Album für die Chefs: Hier posieren die Portiere, Putzfrauen, Köche gezwungen ungezwungen bei ihren Tätigkeiten.

Der Unterschied im Blick, den rund 20 Jahre später Strobls deutscher Zeitgenosse August Sander (1876–1964) auf die Berufsstände warf, könnte nicht größer sein; Sander legte das, was die schon 1917 verstorbene Fotografin mit den militärischen Leiterwägen gemacht hatte, auf die „Menschen des 20. Jahrhunderts“ um. Dieser ab Mitte der 1920er Jahre entstehende Porträtzyklus ist für sein sachlich soziologisches Konzept berühmt, darin hatte er großen Einfluss auf die Fotografie, bis heute. Dennoch schaudert es einen, wenn man das seltene, noch von Sander selbst zusammengestellte Ausstellungs-Set von 70 der insgesamt über 600 Fotos abschreitet, das in der Fotogalerie „Westlicht“ zu sehen ist: „Der Bauer“, „Der Aristokrat“, „Der Corpsstudent“. Nur drei Beispiele aus der Frauen-Mappe: „Die Bildhauerin“, „Die Nonne“, „Das Bürgerkind“. Stellvertretend für das Kapitel „Die letzten Menschen“: „Der Cretin“.

All das erinnert an archaische Typologisierungen, ja gar ideologische Vermessungen. Obwohl Sander von den Nazis nicht geschätzt wurde: Der Zyklus wurde verboten, die Druckstöcke vernichtet. Man muss sich, um das zu verstehen, Vergleiche aus der NS–Zeit ansehen, etwa das ebenfalls in einer Vitrine ausgestellte Buch „Das germanische Volksgesicht“ von Erna Lendvai-Dircksen: Sander entschied sich eben gegen die Großaufnahme, gegen die Heroisierung. Bei ihm sind (fast) alle gleich. Er suchte so lange das Paradeexemplar, dass es in seiner klischeehaften (Über-)Erfüllung aller Erwartungen nahezu einer Karikatur gleicht.

Aber manchmal ist der Grat schmal. Vor allem ist es aus heutiger Sicht schwer zu ertragen, dass gerade die Reichen und Berühmten Namen erhielten, der Arbeiter dagegen nie. Die Hierarchie zwischen den sozialen Klassen, zwischen den Geschlechtern schwingt immer mit, mal mehr, mal weniger subtil. Aber auch das kann man wahrscheinlich als „sachlich“ und „dokumentarisch“ werten. Mit all dem hat Hanna Putz nichts zu tun. Dennoch bekam sie die Einladung, dieser schwarzweißen Phalanx an Archetypen etwas entgegenzusetzen. Sie tat das mit einer gewitzten Mischung aus schrill inszenierten und schnappschussartigen Fotos. Vom nun ebenfalls sehr berühmten Hintern eines sehr berühmten Malers. Der schrägen Pose zwischen Putze und Künstlerin einer Verena Dengler. Starker, in sich gekehrter Gesichter junger Sportlerinnen, die gerade vom Trainer gemansplaint werden. Und das alles ist überhaupt sehr erholsam.

Strobl, bis 6. April, Bonartes, Seilerstätte 22, Wien 1.

Sander, bis 20. Mai, Westlicht, Westbahnstr. 40, Wien 7.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2018)

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