Der letzte Kreuzritter

Schütze dein Gesicht: Warum wir Facebook zerschlagen müssen

Verstummt ist die Propaganda, die soziale Netzwerke zum Instrument demokratischer Freiheitsbewegungen verklären.

Plötzlich ist das Erschrecken groß. Mark Zuckerberg wurde in den US-Kongress zitiert und musste kleinlaut erklären, wie die Firma Cambridge Analytica mithilfe eines kleinen Persönlichkeitsquiz die Facebook-Profile von mindestens 50 Millionen US-Bürgern absaugen konnte. Als Facebook-Hasser der ersten Stunde wundert mich der Vorwurf, die Trump-Leute hätten Facebook „missbraucht“. Wieso missbraucht? Dazu ist Facebook doch da!

Der Missbrauch privater Daten ist nämlich das Gründungsethos von Facebook: 2004 lud der Harvard-Student Zuckerberg Fotos von Studentinnen und Studenten in seinem „Face Book“ hoch und ließ darüber abstimmen, welche „am heißesten“ seien. Er tat dies ohne Erlaubnis der Betroffenen. Das war der Anfang. Nach und nach sind zwei Milliarden Freiwillige dazugekommen, die ihre Liebschaften und ihre Leidenschaften, ihren Foodporn und ihren Newsfeed den Servern eines charakterlosen Lümmels anvertrauen.

Verstummt ist wenigstens die Propaganda, die soziale Netzwerke zu einem Instrument demokratischer Freiheitsbewegungen verklären. Allzu bitter haben die angeblichen „Facebook-Revolutionen“ geendet, 2009 in Moldawien, 2011 in Ägypten. In Wahrheit war Facebook für ihren Verlauf unbedeutend. Ein Aufstand siegt dann, wenn echte Menschen einen echten Platz besetzen und unter Einsatz ihres Lebens verteidigen. Auf dem Sofa einen Like-Button zu drücken, ist das Gegenteil davon. Es ist folgenlose Imitation.

Ziemlich unbemerkt ist geblieben, dass Facebook ausgerechnet jetzt eine neue Etappe in der Geschichte der Menschheit einläutet: Zuckerberg führt auch in Europa die Gesichtserkennung ein. Technisch funktioniert sie schon seit Jahren, sie ist aber selbst in der Datenschutzwüste USA umstritten, darum gehen Google und Facebook zögerlich vor.

Gesichtserkennung bedeutet, dass das Profilfoto eines Menschen ausreicht, damit er weltweit erkannt wird – auf jeder Aufnahme, mit seinem Namen. Facebook verrät noch nicht, ob nur zahlende Kunden wissen werden, wer du bist, wo du bist, mit wem du bist. Die NSA weiß das schon. Privatheit, Anonymität, Freiheit verschwinden. Was tun? Ich sehe drei Möglichkeiten. Die erste wäre zu warten, dass sich die Krake selbst erwürgt. Dieser Nerd ist nicht mehr cool, die ganz Jungen interessiert Facebook nicht mehr. Die zweite wäre, Facebook zu verbessern. Ich bin stolz auf meinen Landsmann, der Facebook mit Klagen gegen Regelwillkür verfolgt. Max Schrems, ein Held, ist aber an Grenzen gestoßen.

Ich selbst bin für eine dritte Möglichkeit: Ich glaube, wir müssen Facebook zerschlagen. Statt eines eigennützigen Netzwerks mit 16 Milliarden Gewinn braucht die Welt mehrere gemeinnützige. Viele Menschen wurden zum Anlegen eines Facebook-Profils genötigt. Die sie da hineingelockt haben, müssen sie auch wieder aus der Gefangenschaft herausführen. Facebook muss zur restlosen Löschung dieser Daten und Fotos gezwungen werden.

Zuckerberg gestand im Kongress, dass das Silicon Valley „eine extrem links gerichtete Gegend“ sei. Ein Google-Ingenieur, der lieblich darüber bloggte, dass Frauen „offener gegenüber Gefühlen und gegenüber Ästhetik“ seien, wurde wegen „Sexismus“ gefeuert. Die politische Schlagseite der Netzkonzerne ist aber nur das kleinere Problem. Das größere: Ein profitorientierter Marktplatz des Privaten taugt niemals zur Agora der Demokratie.

Martin Leidenfrost, Autor und Europareporter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2018)

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