Rätseln über Motiv für Todesfahrt von Toronto

Tatort Yonge Street: In der kanadischen Metropole Toronto sitzt der Schock über die Bluttat tief.
Tatort Yonge Street: In der kanadischen Metropole Toronto sitzt der Schock über die Bluttat tief.(c) imago/Xinhua
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In Toronto raste ein 25-Jähriger mit Lieferwagen gezielt in eine Menschenmenge, zehn Personen starben. Die Polizei tappte zunächst im Dunkeln, was die Beweggründe des Täters waren.

Toronto/Wien. 25 lange Minuten dauerte die Todesfahrt. 25 Minuten, in denen Alek Minassian mit bis zu 70 Stundenkilometern in einem gemieteten weißen Lieferwagen entlang der Yonge Street im Norden der kanadischen Metropole Toronto im Zickzackkurs dahin raste und über 2,2 Kilometer hinweg immer wieder Fußgänger auf den breiten Gehsteigen der Einkaufsstraße niedermähte. Um 13.30 Uhr gingen die ersten Notrufe ein. Als die Polizei den 25 Jahre alten Mann schließlich um 13.52 Uhr verhaftete, waren zehn Menschen tot und 15 verletzt.

Auch einen Tag nach der Bluttat herrscht hinsichtlich der Beweggründe des Tatverdächtigen noch immer Unklarheit. Einen Terroranschlag schlossen die kanadischen Behörden rasch aus. Polizeichef Mark Saunders sprach von einem Einzeltäter. Alles sehe nach einer vorsätzlichen Tat aus, ermittelt werde in alle Richtungen, so der Polizeichef. Bei seiner ersten Anhörung vor dem Haftrichter am Dienstagnachmittag wurde der Fahrer des Kastenwagens des Mordes in zehn Fällen angeklagt. Über sein Motiv für die Tat, die ganz Kanada schockte, gab diese Anhörung aber keinen Aufschluss.

Sozial unbeholfen, gut im Umgang mit Computern, keine ausgeprägten politischen Ansichten: Die Beschreibung von Alek Minassian zeichnet das Bild eines isoliert lebenden IT-Studenten, der bis zu seiner Todesfahrt am Montag kaum auffiel.

Zurückgezogener Sonderling

Minassian lebte in Richmond Hill, einem Vorort Torontos. Mehrere kanadische Medien berichteten unter Berufung auf Strafverfolger und Sicherheitskreise, dass der Täter geistig verwirrt sei. Der Mann dürfte eine Schule für Kinder mit speziellen Bedürfnissen besucht haben, zuletzt aber einen Computerkurs an einem College in Toronto absolviert haben.
Von Klassenkameraden wird er zwar als Sonderling beschrieben, der sehr zurückgezogen lebte und sich schwer mit dem Knüpfen von sozialen Kontakten tat. Gewalttätig sei er aber nie gewesen und auch nicht durch radikale politische oder religiöse Ansichten aufgefallen. Kollegen zeigten sich auch überrascht, dass er Autofahren konnte.

Minassian soll auch mehrere Jobs als Software-Entwickler gehabt haben. Der Umgang mit Menschen habe ihm Probleme bereitet, berichtet ein früherer Kollege der Zeitung „Globe and Mail“. Mit Druck konnte er nicht umgehen, Gespräche mit anderen seien ihm schwer gefallen. Nach den Worten des Polizeichefs Mark Saunders war der Mann bisher nicht aufgefallen.

Zum Zeitpunkt der Attacke hatten sich in Toronto die Außen- und Innenminister der G7-Industriestaaten zu einem Treffen versammelt. Kanadas Sicherheitsminister, Ralph Goodale, einer der erfahrensten und besonnensten Politiker Kanadas, wurde sofort informiert. Die „nationale Sicherheit Kanadas“ sei nicht bedroht, sagte der Minister.

Die Betroffenheit in der kanadischen Metropole, die wie kaum eine andere Stadt für Weltoffenheit und Toleranz steht, war riesig. „Besonders in Toronto rechnet man nicht damit, dass so etwas passiert“, meinte der Bürgermeister John Tory. Kanadas Premierminister, Justin Trudeau, drückte den Angehörigen der Todesopfer sein Mitgefühl aus. Entlang der Absperrungen an der Yonge Street türmten sich die Blumen und Kerzen. Menschen versammelten sich, um gemeinsam zu trauern.

Polizist als Held gefeiert

Jede Tragödie hat auch ihren Helden: Gefeiert wird der Polizist, der sich dem Todeslenker entgegenstellt hat. In den letzten Minuten vor seiner Festnahme schien der Täter den eigenen Tod zu wollen. Handyvideos zeigen die dramatischen Minuten: „Töte mich!“, rief er einem Polizisten zu, der seine Dienstwaffe auf ihn gerichtet hatte, und: „Schieß mir in den Kopf!“ Der Polizist blieb ruhig und forderte den Mann auf, sich zu ergeben: „Nein, auf den Boden.“ Es fiel kein Schuss, der 25-Jährige gab auf. Er hatte keine Waffe bei sich, sagte ein Polizeisprecher. (zoe, bra)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2018)

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