VW-Abgasbetrug: Kann es sein, dass Winterkorn nichts wusste?

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FILES-GERMANY-AUTOMOBILE-POLLUTION-INVESTIGATION-WINTERKOR(c) APA/AFP/JOHANNES EISELE (JOHANNES EISELE)
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Analyse: In den USA wird nun auch der ehemalige VW-Konzernchef, Martin Winterkorn, wegen des Dieselskandals angeklagt. Eine wirkliche Überraschung ist das nicht.

Man findet das Video sehr schnell auf YouTube: Automobilmesse in Frankfurt 2011, Martin Winterkorn sitzt in einem Hyundai i30. Er spielt mit der Lenkradverstellung herum, macht sie auf und zu, und fährt dann seinen Chefdesigner an: "Warum kann's der? Da scheppert nix. Wir können's nicht!" Dieser Mann also, der als allmächtiger Vorstandschef von Volkswagen höchstselbst ein Billigauto der Konkurrenz ausprobierte und zuvor schon mit einer kleinen Taschenlampe untersucht hatte, soll nichts von der Manipulation von elf Millionen Dieselmotoren aus seinem Haus gewusst haben? Ausgerechnet Winterkorn, der Mikromanager, der bei jedem Auto die Spaltmaße abtastete?

Nein, das passt nicht zum Führungsstil des Deutschen, der im September 2015 wegen des Abgasbetrugs seinen Sessel als Chef des VW-Konzerns räumte (freiwillig, ohne Schuldeingeständnis, wie er betonte). Das sagen viele, die ihn kennen. Aber beweisen konnte ihm eine Involvierung in den Dieselbetrug bei VW bisher niemand.

Keine Auslieferung

Die Amerikaner glauben nun, dass sie es können. Sie klagten den bald 71-Jährigen in der Nacht auf Freitag vor dem Bundesgericht in Detroit an und erließen einen Haftbefehl. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm in vier Punkten unter anderem Verschwörung zur Täuschung der Behörden vor. Winterkorn soll seit Mai 2014 vom millionenfachen Einsatz einer illegalen Abgassoftware in VW-Dieselautos gewusst und nichts dagegen getan zu haben. Theoretisch drohen ihm 25 Jahre Haft und eine Geldstrafe bis zu 275.000 US-Dollar.

Praktisch passiert dem Pensionisten nichts, so lange er in Deutschland bleibt und weder in die USA noch in ein anderes Land reist, das Auslieferungsabkommen mit den Vereinigten Staaten hat: Deutschland liefert nämlich eigenen Staatsangehörige nicht aus.

Allerdings könnte Winterkorn auch zu Hause Ungemach drohen. Denn die Staatsanwaltschaft in Braunschweig ermittelt ebenfalls gegen ihn. Sollte sie zum gleichen Ergebnis kommen wie ihre US-Kollegen, wird es für Winterkorn wohl auch in seiner Villa in München ungemütlich.

Er habe von der Existenz der unerlaubten Software erst wenige Tage vor dem öffentlichen Bekanntwerden des Dieselskandals erfahren, lautet die stetige Erklärung von Winterkorn. Sie wurde aber ausgerechnet von seinem einstigen Mentor ins Wanken gebracht wurde. Ferdinand Piëch, einst VW-Aufsichtsratsvorsitzender und Patriarch der Eigentümerfamilie Porsche-Piëch, sagte Anfang vergangenen Jahres bei der Staatsanwaltschaft aus, dass sowohl Winterkorn als auch führende Mitglieder des Aufsichtsrats schon Monate vor dem Auffliegen des Skandals von den Betrügereien wussten.

Piëch auf Distanz

Dazu würde passen, dass Piëch bereits Anfang 2015 für Schlagzeilen sorgte, als er einem Interview völlig überraschend erklärte: "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." Er habe kein Vertrauen mehr, legte er später nach und verscherzte es sich wegen Winterkorn sogar mit seiner Familie. Die Vertreter der Familie Porsche und andere Mitglieder stimmten im Aufsichtsrat im April 2015 für eine Verlängerung des Vertrags von Winterkorn. Piëch trat deshalb als Aufsichtsratschef zurück und verkaufte am Ende sogar seine Anteile an Volkswagen.

Auch in dem Buch "Wachstum über alles. Der VW-Skandal" (Droemer-Verlag) kommt Autor Jack Ewing zum Schluss, dass Winterkorn in einem Memo schon Mitte 2014 über die unerlaubte Abschaltvorrichtung informiert worden sei. Ende Mai 2014 seien die Manipulationen zudem Thema eines Treffens zwischen VW und Bosch, die die Software programmiert hatten, gewesen sein. Anwesend war laut Protokoll auch Martin Winterkorn.

Dünne Anklageschrift

Indizien sind freilich keine Beweise, und an denen dürfte es mangeln. Auch die US-Anklageschrift liest sich eher dünn, wirklich Neues findet man nicht.

Der deutsche Autoexperte, Ferdinand Dudenhöffer, spielte in einem "Presse"-Gespräch einmal folgendes Szenario durch: "Wie läuft denn so eine Sitzung ab? Die Techniker sagen, wir können die Abgaswerte in den USA erreichen, aber dafür müssen wir Abgasreinigung mit Ad-Blue einbauen (ein spezielles Reinigungsverfahren, Anm.). Es kommt die Frage: Was kostet das? Dann heißt es: 300 bis 400 Euro mehr. Dann ist Ruhe im Laden und dann sagt der Chef: Das ist zu teuer, sucht euch eine andere Lösung." Und diese andere Lösung war der Abgasbetrug.

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