Bologna-Prozess: Der Masterplan

(c) Michaela Bruckberger
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Der Magister ist passé ... Was kommt? Daten, Fakten und zwei Meinungen aus der Redaktion.

Die aktuelle Generation der Studienabgänger dürfte wohl die letzte sein, an deren Lippen dereinst ihre Enkel hängen, wenn sie von ihrer aufregenden Studienzeit erzählen. Denn mit der Bologna-Reform kommt das Scheinstudium. Das bedeutet: Hetzen von Termin zu Termin, von Prüfung zu Prüfung, kurz das, was man früher abschätzig „Scheinesammeln“ nannte. Für Muße, Entspannung, für die Verdauung des Gelernten bleibt keine Zeit mehr. Vorbei ist es auch mit der Freiheit der alten Diplomstudiengänge, die Reihenfolge der Prüfungen vielfach selbst zu bestimmen. In der stringenten, aufbauenden Bologna-Architektur wird es beispielsweise nur mehr in Ausnahmefällen möglich sein, Masterstudiumsprüfungen abzulegen, bevor man sein Bachelorstudium abgeschlossen hat. Gleichzeitig wird es einen Kahlschlag bei den Wahlfächern geben: Diese werden entweder ganz gestrichen, oder es bleibt schlicht und einfach keine Zeit mehr, um Vorlesungsinhalte auf diese Weise zu vertiefen.

Da sich die Bologna-Reform an den traditionell marktwirtschaftlich ausgerichteten Studiensystemen der angloamerikanischen Länder orientiert, könnten vor allem geisteswissenschaftliche Fächer unter die Räder kommen, die schon jetzt häufig mit wirtschaftlicher Akzeptanz zu kämpfen haben. Wer aber, wenn nicht diese, könnten wohl abseits spezialisierter Fachstudien ein kritisches, breit fundiertes Weltbild vermitteln? Soll künftig – wie bei den Fachhochschulen – nur mehr gelehrt werden, wonach der Arbeitsmarkt verlangt? Vor diesem Hintergrund spielt es auch schon keine Rolle mehr, wenn zusätzlich die Mitbestimmung der Studierenden beschnitten wird. Vor allem aber droht ein System von direkten und indirekten Zugangsbeschränkungen. Am Beispiel des Masterstudiums: Viele Bachelorabsolventen werden sich um die eingeschränkten Masterplätze raufen und sich gezwungen sehen, vorzeitig aus dem System auszuscheiden. Womit dann ein Heer von Halbgebildeten droht. Erich Ebenkofler

Das alte Diplomstudiendenken ging davon aus, dass die meisten Maturanten reif sind, sich aus dem Stand zu organisieren, zu motivieren, ziel- und lösungsorientiert zu arbeiten, dass sie schnell die Basis inhaliert hätten, die zum eigenständigen wissenschaftlichen Arbeiten befugt, und dass sie bei aller Theorie immer das praktische Ende vor Augen hätten, dass es ein Leichtes wäre, die Mindeststudienzeit nicht grob zu überschreiten. Nun, um das zu beweisen, braucht es nicht viel: Man muss sich nur die Drop-out-Rate jener Jahrgänge zu Gemüte führen, die noch in den Diplomstudien-Genuss kamen. Ein Wort reicht: exorbitant. Wie bitte soll Österreich seine vergleichsweise verschwindende Akademikerquote denn sonst zustande gebracht haben?

Alt-Diplomstudiumabsolventen wissen das vermutlich aus eigenem Erleben: Es war mitunter ein Leichtes, zwischen den Angeboten des Vorlesungsverzeichnisses Slalom zu fahren und sich jene Veranstaltungen herauszupicken, die einem am besten in den Kram passten. Aber das waren nicht zwingend die Rosinen, nicht immer die, die es zu größerem, umfassenderen Fach-Verständnis gebraucht hätte. Nein, es waren mitunter jene Veranstaltungen, die von den umgänglicheren Professoren abgehalten wurden, und jene, mit denen die größeren Toleranzen bei Abgaben und Anwesenheiten verbunden waren. Gratulation zu diesem Mut zur Lücke.

Und wenn es noch so konservativ klingt: Schulisches Bachelorsystem, bitte ja, um junge Menschen so lange bei der Stange zu halten, bis sie langsam Basiswissen und wissenschaftliche Grundlagen aufgebaut haben– wer dann den Master dranhängt, der will das auch wirklich. Bologna-Status für die Allgemeinheit auf jeden Fall, um europaweit ein Mindestmaß an vergleichbarem Wissensstand zu sichern. Schließlich verlaufen Studienkarrieren längst über den österreichischen Tellerrand hinaus. Alma Mater dürfte den direkten Vergleich wirklich nicht fürchten. Madeleine Napetschnig

Bologna: Stadt in Italien, in der anno 1999 das Dekret zur neuen europäischen Studienstruktur unterzeichnet wurde: Diplomstudium abschaffen, durch Bachelor & Master ersetzen.

Aufreger: Das Prinzip Leistung, Wirtschaftstauglichkeit und Transparenz prallt auf einen umfassenden emanzipatorischen Bildungsbegriff.

Bachelor: Das Grundstudium. Sechs Semester. Häufigste Abschlüsse: Bachelor of Arts (BA), B. of Science (BSc). Angeboten an Uni, FH und Business Schools.

Master: Das Aufbaustudium. Vier Semester. Häufigste Abschlüsse: Master of Arts (MA), M. of Science (MSc), M. of Business Administration (MBA), Master of Law (LLM). Angeboten an Uni, FH und Business Schools.
Dabei werden (noch) akademische Master (Regelstudium an FH und Uni, kostenlos bzw. Studiengebühren) und Uni-Lehrgänge (die bisher Postgraduates genannten Aufbaulehrgänge wie MBA, bis zu 30.000 Euro) unterschieden.

PhD: (Philosophiae Doctor) Das Doktorat.
Voraussetzung: ein akademischer Abschluss (Bachelor oder Master). Angeboten an Unis, Wechsel von FH möglich).

Titel: Werden nach dem Namen geführt (z. B. Maxi Mustermensch, MSc). Wo der Titel erworben wurde (Uni oder FH), ist nicht ersichtlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2010)

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