Das gefährliche weltweite Spiel mit der Inflation

gefaehrliche weltweite Spiel Inflation
gefaehrliche weltweite Spiel InflationIllustration: Lillian Panholzer
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Jahrzehntelang galt ein stabiler Geldwert als Ziel aller, jetzt stellt es der Währungsfonds infrage. Für Fed-Chef Bernanke ist mehr Inflation „nicht ohne Reiz“. Wollen die USA so ihre Schulden abbauen?

Wien. Sag niemals nie. Seit einer Woche kocht ein heißes Thema wieder auf, das jahrzehntelang verdampft schien: die Gefahren – und Chancen – einer starken Teuerung. Führende Ökonomen rütteln am letzten Tabu, das ihnen nach der Finanzkrise noch geblieben war: dass Inflation schädlich ist und ein stabiler Geldwert deshalb oberstes Ziel der Notenbanken sein müsse. Diesen Konsens der letzten 30 Jahre hat nicht ein Rebell der Zunft in Zweifel gezogen, sondern einer der großen Meinungsmacher: Olivier Blanchard, der Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Befreiung aus der Schockstarre

Seine Empfehlung: Nicht mehr um zwei Prozent, wie bisher allseits anerkannt, soll der Geldwert pro Jahr schrumpfen dürfen, sondern um vier Prozent. Damit hätten Zentralbanken mehr Spielraum, um in Krisen die Wirtschaft aus der Schockstarre zu befreien.

Die Diskussion führt zurück in die Welt der 70er-Jahre, als Inflationsrate und Zinssätze weit über fünf Prozent lagen, stark schwankten und niemand sicher war, wie viel sein Barvermögen in einem Jahr noch wert sein würde. Damals war es die Deutsche Bundesbank, die sich als Erste das strikte Ziel setzte, durch Steuerung der Geldmenge die Teuerung auf Dauer nahe null zu halten und so die Erwartungen zu stabilisieren. Eine erfolgreiche Strategie, die bald von den meisten Zentralbanken übernommen wurde – implizit auch von der amerikanischen Fed – und endlich zum identitätsstiftenden Dogma der Europäischen Zentralbank (EZB) wurde.

„Ein teuflischer Irrtum“

Nun verstehen die Eurohüter in Frankfurt die Welt nicht mehr. Ein „Spiel mit dem Feuer“ nannte Bundesbank-Chef Axel Weber den IWF-Vorschlag, eine „grob fahrlässige und gefährliche Gespensterdebatte“. Ist das Misstrauen in den Kurs der Geldpolitik erst einmal gesät, „wäre nichts erreicht und alles verloren“. Lorenzo Bini Smaghi, das EZB-Direktoriumsmitglied aus Italien, spricht sogar von einem „teuflischen Irrtum“.

Hat sich Blanchard also mit dem Leibhaftigen verbündet? Sein Vorschlag erscheint auf den ersten Blick nicht unplausibel. Schon das anerkannte Ziel von zwei Prozent lässt ja eine leichte Inflation zu. Die Zentralbanken können mit ihrem geldpolitischen Instrumentarium nicht genau zielen. Deflation gilt aber – ebenfalls mit großem Konsens – als gefährlicheres Gift für die Konjunktur als eine leichte, kaum wahrgenommene Geldentwertung. Deshalb visieren Währungshüter leicht daneben, auf zwei statt null Prozent.

Höhere Zinssätze bringen Spielraum

Warum also nicht gleich vier Prozent? Dann wären die Zinssätze höher und die Zentralbanken hätten mehr Spielraum, in der Rezession den Leitzins zu senken und so die Unternehmen zu Investitionen zu animieren. Und auch ein nomineller Zinssatz nahe null wäre wirkungsvoller, als er heute ist – der reale Zins wäre negativ, wer Kredite aufnimmt, bekäme Geld geschenkt.

In der eleganten Theorie muss „vier statt zwei“ auch nicht zu groben Verwerfungen führen. Wenn die Änderung der Zielsetzung von allen erwartet wird, können sich Zinsen, Löhne und Wechselkurse so anpassen, dass sich die Kosten in Grenzen halten. Nur hat die Vergangenheit gezeigt, dass höhere Zinsen auch deutlich stärker schwanken und meist mit größerer Unsicherheit einhergehen. Allzu leicht kann sich die Inflation dann zum unkontrollierten Flächenbrand ausweiten. Genau diese Unsicherheit hat das sakrosankte Zwei-Prozent-Ziel wirksam bekämpft. Selbst in den Turbulenzen der Krise vertrauten Europas Wirtschaftssubjekte darauf, dass die Eurohüter ihren Kurs unbeirrt beibehalten würden.

Blanchards Kritiker betonen auch, dass die Notenbanken mehr Werkzeuge in ihrem geldpolitischen Kasten haben als nur den Zinssatz – vor allem direkte Wertpapierkäufe und mehr Spielraum für die Refinanzierung der Banken. Gerade durch diese unkonventionellen Methoden gelang es, dem taumelnden Finanzsystem wieder rasch auf die Beine zu helfen. Ihnen hängt auch nicht der Vorwurf an, den der deutsche Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter formuliert: „Inflation bleibt Diebstahl beim kleinen Mann.“

Auch Teuerung entschuldet

Das alles weiß man auch in der Ideenschmiede IWF, dessen größter Anteilseigner die USA sind. Das weckt den Verdacht, hinter dem Vorstoß stünde der Plan der US-Regierung, mit gezielter Inflation ihre Schuldenlast zu erleichtern. Ben Bernanke, Chef der US-Zentralbank Fed, gab diesen Sorgen zusätzlich Nahrung, als er das Konzept Blanchards deutlich milder kommentierte als seine europäischen Kollegen: Die Idee sei riskant, aber „nicht ohne Reiz“.

Tatsächlich hat Geldentwertung den USA schon in der Vergangenheit geholfen, ihre Schulden loszuwerden. Von einem Nachkriegshöchststand der Staatsschulden von 109 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ging es recht stetig bergab, zu Werten um die 35 Prozent in den Jahren vor der Krise. Das gelang keineswegs nur durch Wachstum und dadurch steigende Steuereinnahmen: zwischen einem Viertel und über der Hälfte des Effekts, schätzen Ökonomen, ist der Teuerung zu verdanken – besonders den Inflationsschüben gleich nach dem Krieg und in den Siebzigerjahren.

Wenn nun die Staatsschuldenquote wieder dramatisch ansteigt (siehe Grafik), ist die Versuchung groß, wieder zum bewährten Mittel zu greifen. Allerdings geben Analysten von Morgan Stanley teilweise eine Entwarnung: Anders als früher müssten Regierungen und von ihnen beeinflusste Zentralbanken schon sehr listig vorgehen, um kräftige Entschuldungseffekte zu erzielen.

Denn die Inflation sollte ja überraschend sein und nicht gleich durch höhere Zinsen – auch auf Staatsanleihen – begleitet werden. Die Investoren aber sind im Laufe der Zeit viel sensibler in Bezug auf Inflationsrisken geworden – waren sie doch selbst oft genug Opfer der Teuerung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2010)

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