„Flexibilität und Sicherheit“: Arbeitslosenhilfe auf Dänisch

Für die Betriebe ist „Heuern und Feuern“ billig. Wer den Job verliert, ist dafür gut abgesichert. Mit diesem international viel beachteten Modell versucht Dänemark, Problemen auf dem Arbeitsmarkt beizukommen. Doch in der Krise bekommt das System erste Risse.

KOPENHAGEN.In Dänemark gibt es keinen Kündigungsschutz. Dafür sind die Entlassenen durch generöses Arbeitslosengeld sozial und wirtschaftlich abgesichert: So lautet der oft beschworene Mythos über das dänische Arbeitsmarktmodell. Doch in der Krise hat das Zauberwort „Flexicurity“ – maximale Flexibilität, abgefedert durch maximale Sicherheit – seinen Klang verloren.

Als vor zwei Jahren Vollbeschäftigung herrschte, spielte für viele die Höhe der Entschädigung für Arbeitslose keine Rolle: Der nächste Job war ohnedies gleich da. Doch nun, da sich die Arbeitslosenquote von 1,8 auf 5,4 Prozent verdreifacht hat und in vielen Regionen, Alters- und Berufsgruppen noch viel höher ist, merken die Betroffenen, dass die Absicherung löchrig ist.

Denn dänische Arbeitslose können zwar 90 Prozent ihres letzten Einkommens erhalten. Doch eine Höchstgrenze von umgerechnet 2190 (steuerpflichtigen) Euro pro Monat sorgt dafür, dass der hohe Deckungsgrad allenfalls für unterbezahltes Supermarktpersonal gilt. Wer die üblichen 3000 bis 4000 Euro pro Monat verdient, hat nach der Kündigung nur noch die Hälfte bis zwei Drittel seiner bisherigen Bezüge, Gutverdienende stehen noch schlechter da.

Arbeiter erstreiten Abfindung

So haben sich nun in den Tarifverhandlungen erstmals auch Industriearbeiter eine Abfindung bei Entlassung erstritten, wie sie bisher nur für Angestellte gegolten hat. Für ein bis drei Monate, je nach Anstellungszeit, muss ihnen der Arbeitgeber die Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld und 85 Prozent ihres Lohns ersetzen. Hatte der Entlassene 4000 Euro, bekommt er also zum maximalen Arbeitslosengeld noch 1210 Euro dazu. Das ist „ein Schritt weg vom dänischen Modell“, in dem „Heuern und Feuern“ billig war, sagt der Arbeitsmarktforscher Flemming Ibsen. Das gebe den Arbeitnehmern mehr Sicherheit, könne aber auch dazu führen, dass Arbeitgeber beim Anstellen vorsichtiger würden.

Im internationalen Vergleich ist das dänische Arbeitslosengeld vergleichsweise hoch, auch wenn netto nur zwei Drittel davon übrig bleiben. Einzigartig ist die Länge des Bezugs: Bis zu vier Jahre kann man die Unterstützung beziehen. Doch auch die Pflichten sind umfangreich. Dass der Arbeitslose „aktiv arbeitssuchend“ sein muss, wird sehr ernst genommen. Er muss nicht nur Lebenslauf und bisherige Karriere in ein Zentralregister einspeisen, in dem Arbeitgeber geeignetes Personal finden können. Er muss auch selbst zumindest zwei Jobgesuche pro Woche abliefern, muss drei Stunden Fahrzeit täglich in Kauf nehmen, in besonderen Fällen auch mehr, und nicht nur im eigenen Fachbereich und in der eigenen Lohnklasse suchen, sondern „alle Arbeit, die er wahrnehmen kann“.

Nach spätestens neun Monaten werden die Arbeitslosen aktiviert. Das heißt, sie werden in Kurse geschickt oder mit verschiedensten Tätigkeiten betraut. Wer ausbleibt oder Jobs ablehnt, verliert das Arbeitslosengeld. Die Methoden der Aktivierung als Sprungbrett für die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt sind umstritten. Denn nur jeder Sechste bekommt nach der Aktivierung einen festen Job. Wirtschaftsexperten fordern, die vierjährige Bezugsperiode des Arbeitslosengeldes zu verkürzen, um einen größeren Anreiz zur Arbeitssuche zu schaffen, doch weil die Regierung es sich nicht mit den Gewerkschaften verderben will, hat sie das bisher abgelehnt.

Keine Senkung der Sozialhilfe

Alleinstehende dänische Sozialhilfeempfänger können bis zu 1760 Euro im Monat erhalten, Verheiratete 1325 Euro, alles steuerpflichtig. Haben sie Versorgerpflicht für Kinder, gibt es 435 Euro mehr. Sozialhilfe bekommt allerdings nur, wer sonst gar nichts hat. Zuvor muss man vom Ersparten leben, das Auto verkaufen, eine Hypothek auf eine eventuelle Eigentumswohnung aufnehmen. Eine Senkung der Sozialhilfesätze steht trotz Sparprogramms in Dänemark nicht zur Diskussion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2010)

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