Kreisky und die Journalisten

Waren die Journalisten zu devot, als Bruno Kreisky herrschte? Nein, sie waren berechnend. Der Bundeskanzler hat sie mit Geschichten verwöhnt wie kein anderer Politiker danach.

Zugegeben, die Ära Kreisky war 1983 bereits zu Ende, als ich eben erst begann, Journalist zu werden. Trotzdem scheint es mir, als ob die 13 Jahre seiner Regierungszeit stärker in Erinnerung geblieben sind als die 26Jahre unter seinen sechs Nachfolgern. Kreisky war während meiner Schul- und Studienzeit omnipräsent in der „Zeit im Bild“, die damals noch das Monopol unter den Nachrichtensendungen im Fernsehen hatten. Täglich gab es Bonmots dieses mürrischen kleinen Mannes mit der tiefen Stimme, ob er nun das Energiesparen mit der Nassrasur assoziierte, das Budgetdefizit mit der Arbeitslosigkeit oder den Ballhausplatz mit der Weltpolitik. Unvergessen ist, wie er den Oppositionschef Josef Taus in der entscheidenden TV-Diskussion zur Nationalratswahl 1975 wie einen Schulbuben abkanzelte und diesem zugleich ungehöriges Benehmen vorwarf. Das war großes Theater, eine meisterhafte Verhöhnung bis hin zur inszenierten Verwechslung: „Herr Dr. Klaus... Taus“. Meist aber hat Kreisky einfach nur ausführlich sinniert, nach der melodisch gebrummten Einleitung „Ich bin der Meinung...“, nach einem verständnisvollen „Schaun Sie...“ wurde es meist unterhaltsam.

Kreisky mag wie ein Großbürger ausgesehen haben, beim Präsentieren und Formulieren seiner Geschichten dachte er jedoch wie ein hungriger Boulevardjournalist. Er war ein Schlagzeilen-Kanzler, der seine Klientel nachhaltig fütterte. Für diese postmoderne Neigung haben ihn auch die Journalisten aller Couleurs geliebt. Man darf annehmen, dass sowohl Kreiskys Vorspiegelung, die Journalisten befänden sich auf einer Ebene mit ihm, reine Berechnung war – so wie auch das devote Benehmen der Gegenseite, die diese Fiktion der gleichen Augenhöhe hoffentlich auch durchschaut hat.

Seit Kreiskys Rückzug aus dem Strom der Politik kamen für Journalisten auf der Suche nach interessantem Kanzlerstoff härtere Tage. Was ist vom Intermezzo des Fred Sinowatz geblieben? Die Besetzung der Hainburger Au, der Wein- und der Waldheim-Skandal sowie ein enthüllender Satz: „Ich weiß, das klingt alles sehr kompliziert...“ Was blieb an einprägsamen Sätzen von Franz Vranitzky, unter dessen Kanzlerschaft immerhin der Beitritt des Landes zur EU erfolgte? Originell wäre der ihm zugeschriebene Satz „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, aber dieses ernüchternde Bonmot eines Machers stammt wahrscheinlich von Helmut Schmidt, und Vranitzky will es gar nicht in Anspruch nehmen.

Ein ähnliches Schicksal hat auch eine Wendung, für die Wolfgang Schüssel einige Tage weltberühmt war. Der erste ÖVP-Kanzler seit 1970 distanziert sich aber davon, laut gemeint zu haben, der deutsche Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer sei eine „richtige Sau“. Schüssel soll das vor Journalisten bei der „Frühstücksaffäre von Amsterdam“ gesagt haben. Aber gibt es von ihm außerdem noch, jenseits der Angelobung der Regierung im Februar 2000, mediale Momente, die in Erinnerung geblieben sind wie die starken Auftritte Kreiskys?

Nein, sie sind fast so vergessen wie Viktor Klima (das war der Herr zwischen Vranitzky und Schüssel). Sein Lieblingsbuch sei „Der Mann ohne Eigenschaften“, gab Klima einmal an, nur klang das nicht so überzeugend wie einst bei Kreisky. Und Werner Faymann, der sechste Mann am Ballhausplatz seit dem Sonnenkönig? Fällt ein bisschen Abglanz wenigstens auf ihn? Das war doch der mit dem Onkel. Oder hat der Josef Pröll geheißen?

norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2010)

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