Paarweise Spieltriebe

Jederman, Salzburg 2017
Jederman, Salzburg 2017(c) Matthias Horn
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Das Schauspiel in Salzburg setzt auf außergewöhnliche Paarungen: Sie sind erotisch, hintergründig, obsessiv, eigenwillig, immer verführerisch. Eine Betrachtung.

Dein bin ich heut und ewiglich“, verspricht die Buhlschaft in Hofmannsthals „Jedermann“, seit 1920 auf dem Domplatz in Salzburg zu sehen. Meint sie es ernst? Jedenfalls verhält sie sich wie alle anderen, sie verlässt ihn angesichts des Todes mit dem berühmten Schrei. Doch wer will es der jungen Frau übel nehmen? Hofmannsthal sah das sehr realistisch. Buhlschaften sind sehr unterschiedlich, eine liebevolle, aber emanzipierte Jedermann-Gefährtin gab es bereits in den 1990er-Jahren mit Maddalena Crippa, Italienerin mit dunkler Stimme und Peter Steins Gefährtin.

Auch die radfahrende Brigitte Hobmeier zeigte Selbstbewusstsein. Heuer spielen wieder Tobias Moretti und Stefanie ­Reinsperger das ikonische Paar. Michael ­Sturminger hat das Werk weiter modernisiert, die Figuren auf der Bühne gleichen nun mehr dem schick gekleideten Publikum. Und die Buhlschaft kennt, wie man in Wien sagt, angesichts des Todes ihres Gefährten keinen „Genierer“. Sie nimmt ihre Liebe zurück und es ist ziemlich klar, dass sie sich bald einem anderen aussichts- oder sonst wie reichen Freier zuwenden wird. Es kommt der Moment, wo der Mann, der sich immer jüngere Partner-innen sucht, in der Hand seiner Frau ist und nicht umgekehrt.

„Mit der ,Jedermann‘-Aufführung blicken wir auf die große Geschichte der Salzburger Festspiele zurück“, sagt Schauspielchefin Bettina Hering: „Die Neubesetzungen interessieren ganz Österreich, das zeigt, welch hohen Stellenwert Theater und Schauspieler in diesem Land haben.“ Eine „sehr unabhängige Frau“ ist Reinspergers Buhlschaft für Hering, im Vergleich zum „feinnervigen Tobias Moretti“. „In ihrer letzten Szene, als Jedermann Freunde und Verwandte vergeblich um Begleitung ins Jenseits bittet, hat Reinsperger ihren stärksten Auftritt,“, schrieb Norbert Mayer 2017 nach der Premiere der jetzigen Produktion in der „Presse“: „Schweigend steht die Buhlschaft lang im Hintergrund. Als ihr Liebhaber sie als Letzte um Hilfe anfleht, wendet sie sich ab. Da ist ungeheure Energie spürbar, obwohl sie nur wenige Verse zu sagen hat.“

Von Dämonen besessen. Die wichtige Klassikerinszenierung der Festspiele gilt heuer Kleists „Penthesilea“. Jens Harzer, der 2011 in der Salzburger Uraufführung von Peter Handkes „Immer noch Sturm“ als Alter Ego des Dichters brillierte, spielt in Johan Simons Regie Achilles, in den sich Penthesilea (Sandra Hüller) verliebt. Harzer und Hüller waren 2006 gemeinsam in Hans-Christian Schmids Film „Requiem“ zu sehen: Die streng katholisch erzogene Michaela glaubt von Dämonen besessen zu sein und sucht Hilfe beim Dorfpfarrer, ein Fehler. Hüller wurde für ihre Gestaltung der Michaela mit dem Goldenen Bären der Berliner Filmfestspiele ausgezeichnet. Der 2013 verstorbene Schauspielgigant Walter Schmidinger spielte den konservativen, Harzer den aufgeschlossenen Geistlichen, die um die Seele Michaelas „ringen“, die in Wahrheit nicht vom Teufel besessen ist, sondern Epileptikerin. Bekannter ist Hüller allerdings aus einem anderen preisgekrönten Streifen, „Toni Erdmann“ von Maren Ade. In diesem Film spielt sie eine Unternehmensberaterin, die unter den Annäherungsversuchen ihres Vaters (Peter Simonischek) leidet. Für diese Rolle wurde die im thüringischen Suhl geborene und in Leipzig lebende Schauspielerin mit dem Europäischen Filmpreis als beste Darstellerin geehrt. Im Interview mit der „Zeit“ bekannte Hüller gemischte Gefühle ihrer Familie über den Mauerfall, der auch viel Angst in der DDR ausgelöst habe. Zur Schauspielerei kam sie über die Schule: „Ich wusste einfach plötzlich, dass ich das machen muss.“ „Plan B“ wäre gewesen Hebamme zu werden, ein Beruf, der insofern mit der Schauspielerei verbunden ist, als manche Rollen schwere Geburten sind, wie man sagt. Auch Harzer ist über die Schule zum Theater gekommen: „Es war Glück. Wenn es nicht geklappt hätte, hätte ich etwas anderes gemacht“, meinte er 2012 zur „Presse“.

Wandlungsfähige Originale. Eine weitere Klassikerinszenierung sind in Salzburg „Die Perser“ von Aischylos. Regisseur Ulrich Rasche ist auch Bühnenbildner und ein Spezialist für Chorprojekte. Katja Bürkle und Valery ­Tscheplanowa, zwei junge Schauspielerinnen, sind als Chor und Ältestenrat zu erleben. Tscheplanowa war 2017 Schauspielerin des Jahres („Theater heute“) und erhielt heuer den Ulrich-Wildgruber-Preis sowie den Deutschen Hörbuchpreis. Bürkle war zehn Jahre an den renommierten Münchner Kammerspielen, bevor sie an das vom künftigen Burgtheaterdirektor Martin Kušej geführte Residenztheater wechselte. Die „Stuttgarter Zeitung“ widmete Bürkle, die bereits den Hamlet gespielt hat, unter dem Titel „Die Widerspenstige“ ein Porträt. Bürkle gab auch Karl Moor in Ulrich Rasches zum Berliner Theatertreffen eingeladener Inszenierung von Schillers „Räubern“.
Ein eingespieltes Team sind Sophie Rois und Kathrin Angerer, die in Frank Castorfs Inszenierung von Knut Hamsuns „Hunger“ auf der Halleiner Perner-Insel auftreten. Beide Künstlerinnen sind aufs Exaltiert-Abgründige spezialisiert und begeisterten in vielen Castorf-Produktionen. „Der Schauspieler ist bereits die Botschaft“, sagt Sophie Rois in Anlehnung an den Spruch „The medium is the message“. In der Tat sind Rois und Angerer Originale, und zugleich höchst wandlungsfähig. An der Burg war Rois zuletzt in „Krönung Richards II.“ von Hans Henny Jahnn (Regie: Castorf) zu erleben, Angerer in Dostojewskis „Der Spieler“ (Castorf, Festwochen). „Es ist schön, wenn zwei die gleiche Sprache und die gleiche Theaterüberzeugung haben, geeichte Frauen sozusagen, die sich so fulminant ergänzen“, sagt Schauspielchefin Hering.
Noch nie zusammen aufgetreten sind Samuel Finzi und Mavie ­Hörbiger, die gemeinsam in „Kommt ein Pferd in die Bar“ von David Grossman zu sehen sein werden, der Autor kommt auch nach Salzburg. „Finzi und Hörbiger haben beide ein gleichermaßen komisches Talent, aber in seinen Nuancen unterschiedlich ausgeprägt“, erläutert Hering. Hörbiger ist am Burgtheater engagiert, wo sie zuletzt unter anderem Nestroy spielte und in „jedermann (stirbt)“ von Ferdinand Schmalz „mammon“ sowie die „guten werke“ (sic! klein geschrieben). Der gebürtige Bulgare Samuel Finzi ist einer der gefragtesten Krimi-Darsteller in Deutschland und besonders beliebt bei den Damen („Der Frauenflüsterer“, schrieb Spiegel-online). Finzi stammt aus einer Schauspielerfamilie, schon sein Vater Itzhak war ein gefeierter Darsteller, der seinem Sohn allerdings dringend riet: „Werde Rechtsanwalt!“ (news-de). In der Krimi-Serie „Flemming“ spielte Finzi den Psychologen ­Vincent Flemming. Am Theater war Finzi zuletzt u. a. in „Warten auf Godot“ und als Peer Gynt am Deutschen Theater in Berlin zu sehen. „Kommt ein Pferd in die Bar“ handelt vom Stand-up-Comedian Dov Grinstein, der sich gern aus Not um Kopf und Kragen redet. David Grossman wurde 1954 in Jerusalem geboren, er ist Schriftsteller und Friedensaktivist, und eine der wichtigsten literarischen Stimmen Israels. „Kommt ein Pferd in die Bar“ ist ein typischer Witzanfang, aber Dov Grinstein hat auch unsympathische Seiten, weswegen das Buch in Israel auf geteilte Zustimmung stieß, bevor es in Deutschland zum Erfolg und in England mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde.
Aus Peter Steins berühmtem ehemaligen Schaubühnen-Ensemble kommen zwei Stars zu den Salzburger Festspielen, Edith Clever und Bruno Ganz. Sie lesen aus dem Briefwechsel von Ingeborg Bachmann mit dem Komponisten Hans Werner Henze: „Briefe einer Freundschaft“ am 22. August. Die Veranstaltung ist eine Ergänzung zu Henzes „The Bassarids“, unter Kent Nagano bei den Festspielen zu erleben. Das Werk folgt den „Bakchen“ des Euripides. Edith Clever, im Wuppertal geboren, von 1971 bis 1989 Mitglied des Schaubühnen-Ensembles, spielte 1994 in Shakespeares „Antonius und Cleopatra“, das war die Zeit, als Stein Schauspielchef in Salzburg war; darüber hinaus gibt sie seit letztem Jahr Jedermanns Mutter. Eine intensive künstlerische Zusammenarbeit verband Clever auch mit Hans-Jürgen Syberberg („Parsifal“, „Molly Bloom“ aus „Ulysses“ von James Joyce).
Auch vom Olymp der deutschen Schauspielkunst grüßt seit Jahrzehnten Bruno Ganz, obwohl der gebürtige Schweizer auch viele wunderbare Filme gemacht hat (zuletzt „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ nach einem Roman von Eugen Ruge). In Steins „Faust“-Inszenierung spielte Ganz die Titelrolle, in Salzburg war er etwa als Feldherr Coriolan in der gleichnamigen Shakespeare-Tragödie zu erleben. Bei den Salzburger Festspielen 2018 gibt er den Erzähler in Lydia Steiers Inszenierung von Mozarts „Zauberflöte“. 2015 spielte Ganz den Großvater in „Heidi“ und wer mag, kann den Inbegriff des deutschen Sprachkünstlers auf Youtube fließend in seinem Heimatidiom Schwyzerdütsch parlieren hören.

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