Wiener Linien

U-Bahn: Das Verschwinden der Sitzplätze

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Weniger Platz zum Sitzen, mehr zum Stehen – dafür Raum für Kinderwagen und Rollstühle sowie mehr Kapazität. Die Innenräume im öffentlichen Verkehr haben sich verändert.

Wien. Die Wiener Urangst ist, in der Station nicht rechtzeitig aus der U-Bahn zu kommen. (In Worte gefasst durch das ängstliche bis vorwurfsvolle „Steigen Sie aus?“.) An dieser Angst dürfte es auch liegen, dass sich die Fahrgäste vor allem im Türbereich sammeln, während der Bereich zwischen den Sitzen leer bleibt.

Was aber insbesondere bei den älteren U-Wagen (Silberpfeile) und dem Nachfolger V-Wagen auch mit dem Einstiegsbereich zu tun hat. Denn dieser ist mit Wänden vom Sitzplatzbereich getrennt – von den charakteristischen Kojen mit Vierersitzen. Und so entsteht bei den Passagieren der Eindruck des Eingangsbereichs als eigener Raum – und der schmale Gang zwischen den Sitzkojen lädt nicht zum Weitergehen ein.

Ein Viertel Sitzplätze

Nun hat in den vergangenen Jahren nicht nur die Zahl der Einwohner in Wien zugelegt, sondern auch die der Nutzer des öffentlichen Verkehrs. Und so wird das über Jahrzehnte gelernte Konzept mit den abgeschlossenen Vierersitzgruppen zum Auslaufmodell, weil schlicht und einfach der Platz nicht mehr reicht. So wie auch generell der Anteil der Sitzplätze laufend zurückgeschraubt wird.

Betrug er im Silberpfeil mit 294 Sitzplätzen und 546 Stehplätzen noch 35 Prozent, liegt er beim V-Wagen, der seit 2006 im Serienbetrieb unterwegs ist, nur noch bei 29 Prozent – 260 Sitzplätze stehen 618 Stehplätzen gegenüber. Beim neuen X-Wagen, der ab Mitte 2020 im U-Bahn-Netz unterwegs sein soll, wird der Anteil der Sitzplätze schon unter 25 Prozent liegen. (Ergänzung: Wenn die neuen X-Wagen ab 2024 auf der U5 unterwegs sind, können die Fahrerstände entfernt werden, was wieder neue Plätze schafft.) Andererseits können mit jeder neuen Generation insgesamt mehr Passagiere befördert werden – 840 Menschen ist die Maximalbelegung einer Silberpfeil-Garnitur, beim V-Wagen sind es schon 878, und der X-Wagen soll sogar 928 Fahrgäste fassen. Und was bei der neuen Garnitur besonders auffällt – die abgeschotteten Kojen sind passé, das Innendesign ist viel offener und flexibler. Und das Konzept Sitzplatz wird deutlich lockerer gesehen. So wie schon beim V-Wagen gibt es mehrere Klappsitze – und an derselben Stelle findet sich auch Raum für Rollstühle und Kinderwagen.

Im neuen X-Wagen wird es auch Sitze geben, auf denen man quer zur Fahrtrichtung sitzt. Eine radikale Lösung wie etwa (nicht nur) in der New Yorker U-Bahn, wo es nur längsseitige Sitze gibt, haben die Wiener Linien aber nicht im Fokus. Man wolle eine „sinnvolle Verteilung“, so ein Sprecher, und eine bessere Aufteilung der Passagiere im Fahrzeug. Das gelinge vor allem mit großzügigeren Eingangsbereichen und der Motivation für Fahrgäste, nicht im Türbereich stehen zu bleiben. Und man reagiere damit auf eine veränderte Nutzung – mehr Menschen mit Kinderwagen oder Rollstühlen nutzen heute den öffentlichen Verkehr. Für diese solle Platz geschaffen werden – auch auf Kosten bisheriger Sitzplätze.

Dass der Platz zum Sitzen weniger wird, ist aber nicht nur in der U-Bahn so. Auch in den Straßenbahnen ist der Sitzplatzanteil kontinuierlich gesunken. Bei den klassischen roten E2-Garnituren lag er noch bei über 40 Prozent. In den ULF-Wagen betrug er zunächst 31 Prozent – ab 2012 entfernte man versuchsweise Sitze und reduzierte ihren Anteil damit auf 26 Prozent. Beim neuen Flexity, der Ende 2018 erstmals Fahrgäste transportieren soll, liegt er gar nur noch bei 21 Prozent. (Wenn auch die Wiener Linien mit einem höheren Anteil rechnen – sie zählen 14 breitere Sitzplätze, die vor allem für Eltern mit Kind da sein sollen, jeweils eineinhalbfach.)

Knappes Gut

In jedem Fall wird der Sitzplatz im öffentlichen Verkehr zu einem knapperen Gut. Dafür wird deutlich mehr gestanden – und das angesichts der gestiegenen Fahrgastzahlen auch immer wieder recht eng beisammen. Was bei Fahrgastwechseln dann auch immer wieder zu Schwierigkeiten führen kann. Ganz verschwinden wird das „Steigen Sie aus?“ also wohl auch in Zukunft nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2018)

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