Wort der Woche

Entgiftung der Äcker

Deutsche Wissenschaftler haben ein sehr kritisches Diskussionspapier zu Pestiziden vorgelegt. Vor allem die Forschung sollte mehr zur Entgiftung der Äcker tun.

Die konventionelle landwirtschaftliche Pflanzenschutzpraxis hat einen Punkt erreicht, an dem wichtige Ökosystemfunktionen und Lebensgrundlagen ernsthaft in Gefahr sind.“ Dieser Satz stammt nicht, wie man vielleicht erwarten würde, von einer Umwelt-NGO, sondern aus einem Diskussionspapier der hoch seriösen deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Elf renommierte Wissenschaftler haben darin systematisch die Notwendigkeit eines umweltverträglichen Pflanzenschutzes untersucht, sie ermittelten zahlreiche Wissenslücken und Mängel bei den Zulassungsverfahren. Kritisiert wird u. a., dass die Wirkung nur an wenigen Organismengruppen getestet, indirekte Effekte kaum berücksichtigt und Mischung mehrerer Pestizide völlig ausgeblendet würden. Das Fazit: „Es sollte im Interesse aller sein, Anbau- und Pflanzenschutzstrategien zu entwickeln, die langfristig ausreichende Erträge gewährleisten, ohne dabei die Umwelt nachhaltig zu schädigen.“ Pestizideinsatz sei dabei nur die Ultima Ratio.

In der „Zeit“ wurde die aktuelle Entwicklung kürzlich als „Pestiziddämmerung“ bezeichnet. Das trifft den Kern der Sache recht gut: Waren im Jahr 1997 noch rund 1000 Wirkstoffe zugelassen, so sind es derzeit um die 400. Und dieser Trend geht weiter: Nach dem Verbot einiger wichtiger Neonicotinoide ist als Nächstes wohl Glyphosat dran. Und wenn die Zulassungsbedingungen in Zukunft weiter verschärft werden – wie von den Leopoldina-Experten und Umweltschützern gefordert –, werden nicht mehr viele Pestizide diese Hürde schaffen.

Die Forschung ist dabei, die eklatantesten Wissenslücken zu schließen. So haben Experten der EU-Lebensmittelbehörde EFSA kürzlich bekannt gegeben, dass bis Jahresende die ersten Bewertungsmodelle für die kumulative Wirkung mehrerer Pestizide vorliegen werden. Das war bisher nicht möglich, weil man die vielen Wechselwirkungen nicht in den Griff bekam. Mit einem neuen Datenmodell soll das nun gelingen. Da die Schädlinge nicht verschwinden und die Landwirte ihre Pflanzen schützen müssen, sind auch Alternativen zu den geschassten Agrarchemikalien in Entwicklung – etwa die Züchtung resistenter Sorten, toleranterer Anbaumethoden (etwa Mischsaat) oder biologische Schädlingsbekämpfung mithilfe bestimmter Bakterien und Pilze.

Es ist jedenfalls viel mehr Forschung in diesem Bereich notwendig. Jeder Fortschritt wäre ein großer Dienst an der Umwelt und den Konsumenten.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2018)

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