Prozess um getöteten Rekruten: 15 Jahre Haft wegen Mordes

Der Tatort am Abend des 9. Oktober 2017
Der Tatort am Abend des 9. Oktober 2017APA/HANS PUNZ
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Der Bundesheerrekrut, der mit seiner Dienstwaffe einen Kameraden getötet hat, wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt. Ein Waffengutachten belastete ihn. Er selbst sprach von einem Unfall.

Wien. Ali Ü. (22) und sein Anwalt Manfred Arbacher-Stöger bleiben dabei: Es sei „eine blöde Aneinanderreihung von Zufällen“ gewesen, die zum Tod des 20-jährigen Ismail M. am 9. Oktober 2017 in einem Wachcontainer der Wiener Albrechtskaserne geführt habe. Er hatte einen Kopfschuss erlitten. Aus nächster Nähe. Die Tatwaffe: das Sturmgewehr (StG) 77, die Standardwaffe des österreichischen Bundesheers. Es handelte sich um das Gewehr des nunmehrigen Angeklagten Ali Ü. Beide Männer waren Grundwehrdiener. Er habe nicht gewusst, dass die Waffe durchgeladen gewesen sei, sagte Ü. im Prozess. Vielleicht sei sie ihm zuvor irgendwann heruntergefallen und habe sich dabei quasi selbstständig geladen. Doch diese Version geriet am Donnerstag ins Wanken.

Der vom Gericht beauftragte Waffentechniker Manuel Fließ erklärte zwar, es habe sich in serienweise durchgeführten Fallversuchen gezeigt, dass sich das Sturmgewehr (freilich mit angestecktem 30-Schuss-Magazin) beim Aufprall auf den Boden „von selbst“ laden könne, also dass eine Patrone vom Magazin in den Lauf gelangen könne. Aber nur unter ganz speziellen Voraussetzungen.

Diese Versuche haben laut Fließ ergeben, dass bei einem Fall aus 25, 50, 75 und 100 Zentimeter Höhe keine Patrone in den Lauf gelangt. Bei einem Fall aus 1,25 Meter Höhe geriet bei den Versuchsreihen im Labor bei sechsmaligem Fallenlassen einmal eine Patrone in den Lauf. Hingegen zeigte sich, dass bei fünf Stürzen aus 1,50 Metern und bei fünf Stürzen aus 1,75 Metern jedesmal eine Patrone in den Lauf befördert wurde.

Wie kam Patrone in den Lauf?

Allerdings nur dann, wenn die Waffe kerzengerade („ganz senkrecht“) nach unten hängt, ehe sie ausgelassen wird. Und genau am hinteren Rand des Kolbens aufschlägt. Wenn die Waffe schräg zu Boden fällt, gelangt – so das Fazit der Versuche – keine Patrone in den Lauf. Allein dieses Resultat zeigt: Dem Angeklagten müsste die Waffe in einer ziemlich spezifischen Art zu Boden gefallen sein. Sonst hätte sie sich nicht geladen.

Und noch etwas: Bei einem derart selbstständigen Laden bilden sich, so die Versuche, stets starke, längsseitig verlaufende Streifspuren an der Patronenhülse. Waffengutachter Fließ: „An der Tatpatrone wurden keine Längsriefen gefunden. Das heißt, die Tatpatrone kann nicht durch einen Fall in den Lauf gelangt sein.“ Ü. müsse wohl – aus welchen Gründen auch immer – die Waffe vorher selbst durchgeladen haben.

Ali Ü. gab an, er sei während seines Wachdienstes in den Wachcontainer gegangen, um seinen auf einer Liege schlafenden Kameraden zu wecken und ihn nach draußen zu holen („Ich wollte mit ihm eine Zigarette rauchen“). Dies habe er entgegen den Bundesheervorschriften getan, ohne die Waffe am Eingang des Containers abzustellen. Er habe eben nicht angenommen, dass das Sturmgewehr durchgeladen sei. Doch wieso war es entsichert? „Ich habe immer mit der Sicherung gespielt, wenn ich im Wachdienst draußen war.“ Dies sei sein „einziger Zeitvertreib“ gewesen. Und warum wurde der Abzug betätigt? Das könne er nicht mehr sagen. Und warum traf der Schuss genau den Kopf? Auch das könne er nicht erklären. Er sei gestolpert, dabei müsse er wohl den Finger am Abzug gehabt haben . . .

Dem Staatsanwalt waren das ein paar Zufälle zu viel. Er sprach schon beim Auftakt der Verhandlung von einem bedingten Mordvorsatz: Ü. habe es in Kauf genommen, dass Ismail M. getötet werden könne. Diese Darstellung überzeugte offenbar fünf der acht Geschworenen, sie fällten einen Schuldspruch. Ü. wurde wegen Mordes zu einer 15-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Offen blieb die Frage nach dem Motiv. Der Anwalt der Hinterbliebenen brachte beim Schlusswort eine homoerotische Komponente ins Spiel: Das Opfer soll den Täter „Schatzi“ genannt haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2018)

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