Die deutsche Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger kritisiert erneut die Kirche für ihren Umgang mit dem Missbrauchs-Skandal. Bildungsministerin Schavan will eine Verlängerung des Verjährungsfrist.
Die deutsche Justizministern Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat dem Vatikan Behinderung bei der Aufarbeitung der Skandale um sexuellen Missbrauch in katholischen Einrichtungen vorgeworfen. Es habe in vielen Schulen und Einrichtungen eine Art Schweigemauer gegeben, wegen der Informationen nicht ausreichend an die Justiz gelangt sei, sagte die Ministerin am Montag im Deutschlandfunk. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) forderte eine Verlängerung der Verjährungsfristen.
Gewalt und Missbrauch gegenüber Schülern sei der schwerste Vertrauensbruch, der vorstellbar ist. "Das macht mich zornig", sagte Schavan. "Eltern müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Kinder vor Gewalt und Missbrauch in pädagogischen Einrichtungen geschützt sind."
"System sadistischer Strafen"
In den vergangenen Wochen waren zahlreiche Missbrauchsfälle vor allem an katholischen Schulen und Internaten bekannt geworden. Am Freitag hatten Kirchenbeauftragte zahlreiche Details zu Missbrauchsfällen im oberbayerischen Kloster Ettal sowie bei den jahrzehntelang von Papstbruder Georg Ratzinger musikalisch geleiteten Regensburger Domspatzen bekanntgegeben. Mehrere ehemalige Domspatzen, die sexuell missbraucht oder körperlich misshandelt wurden, sind nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" bei Therapeuten im Münchner Raum in Behandlung.
Ein Betroffener aus dem Allgäu habe von grausamen Ritualen im Internat Etterzhausen berichtet, einer Vorschule für jüngere Schüler, aus dem sich die Domspatzen in Regensburg rekrutierten. Dort habe Ende der 1950er Jahre der Direktor, ein katholischer Priester, härteste Strafen verhängt. So habe er oft auch in seinen Privaträumen ein "Nacktprügeln" betrieben, bei dem sich die acht- bis neunjährigen Kinder entblößen mussten.
Der Regisseur und Komponist Franz Wittenbrink, der bis 1967 im Regensburger Internat der Domspatzen war, sprach laut dem Bericht von einem "ausgeklügelten System sadistischer Strafen verbunden mit sexueller Lust", das dort bestanden habe.
Auch Mädchen unter Opfern in Reformschule
Beim massenhaften sexuellen Missbrauch im Reform-Internat Odenwaldschule waren nach Informationen der "Frankfurter Rundschau" (Montag) auch Mädchen unter den Opfern. Die Zeitung beruft sich auf einen ehemaligen Schüler. In einem Fall sollen sich zwei Lehrer ein Mädchen als sexuelle Gespielin "geteilt" haben. "Es ging da in all den Jahren sehr freizügig zu", zitiert die "FR" den Zeugen. In mehreren Fällen sollen Lehrer ihre jugendlichen Geliebten später auch geheiratet haben.
Ein Schüler berichtete, wie Kritiker mundtot gemacht worden seien. Es habe in den 70er und 80er-Jahren eine regelrechte "Anti-Spießer-Hysterie" geherrscht, welche die Übergriffe erst möglich gemacht habe. Wer seinerzeit etwas bemerkt und gesagt habe, sei "sofort als Spießer geächtet worden. Das war grauenhaft", sagte der Mann der "FR". Eine unabhängige Kontrollinstanz habe es nicht gegeben. Im Grunde hätte die Schulleitung eingreifen müssen, dort aber habe der ebenfalls des Missbrauchs beschuldigte Rektor gesessen.
(Ag./Red.)