"Tatort" Wiederholung: Franziska Weisz' erster Fall

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Tatort(c) ORF (NDR/Marion von der Mehden)
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Mit Franziska Weisz bekam die "Tatort"-Reihe 2016 eine neue österreichische Kommissarin: Als Julia Grosz ermittelte sie in "Zorn Gottes" erstmals an der Seite von Wotan Wilke Möhring im IS-Terror-Milieu.

Manchmal wächst ein Stück mit den Umständen. „Zorn Gottes“ ist so eines. Als Drehbuchautor Florian Oeller Anfang 2014 über einen neuen „Tatort“ nachdachte, ließ er sich von einer Zeitungsmeldung über das schlecht bezahlte Wachpersonal auf dem Münchner Flughafen inspirieren – und setzte eine Story über eine Schlepperbande auf, die illegale Einwanderer aus China nach Deutschland schleust. Einige Monate und Terrormeldungen später war daraus ein erschütternd aktueller Krimi über einen IS-Heimkehrer geworden, der heimlich nach Deutschland zurückkehrt, um seine Drohung wahrzumachen: „Wir werden euch auf offener Straße die Köpfe abschlagen“, brüllt Enis Günday in einer Videobotschaft. Seinen Zorn erklärt ein Schwenk über die blutverschmierten Reste einer Krankenstation, in der Unschuldige starben. Daran ist, glaubt er, allein der Westen schuld. Jetzt will er sie rächen. Leben um Leben.

Oeller hat nicht nur die Lage auf dem Flughafen sondiert, um ein reales Szenario zu entwerfen, er hat auch mit Eltern radikalisierter Jugendlicher gesprochen, deren Söhne gefallen oder vermisst sind. Was sie ihrem Sohn sagen würde, falls er anruft, fragte er eine Mutter: „Ich liebe dich, mein Kind. Du bist herzlich willkommen. Lass uns feiern, dass du noch lebst.“ Ein Dilemma, das auch im Film vorkommt. Enis ruft seine Familie an, um sich zu verabschieden. Der Vater weint wie ein Kind, er versteht nicht, was er falsch gemacht hat, will seinen Sohn zurückhaben. Es ist eine der Schlüsselszenen. So wie jene, in der der junge Terrorist den deutschen Schlepper von den Zielen des IS überzeugen will. Beide kommen aus dem gleichen Viertel. Beide sind vom Leben enttäuscht und hegen einen tiefen Groll gegen die Gesellschaft. Der eine ist Gotteskrieger geworden. Der andere Schlepper. Für ihn wäre auch der Weg zum Neonazi nicht weit gewesen.

Ein arg unterkühlter Auftritt als Julia Grosz

Regisseur Özgür Yildirim spannt einen durchgängigen Spannungsbogen über 88 Minuten, die nicht einmal dann lang werden, wenn „Tatort“-Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) in dem öden Flughafengebäude nach dem Schlupfloch der Schlepper sucht. Wortkarg und verhärmt begleitet ihn dabei Flughafenpolizistin Julia Grosz: überdurchschnittlich qualifiziert, unterdurchschnittlich empathisch. Ein arg unterkühlter Auftritt von Franziska Weisz. Es ist die Premiere der Österreicherin als "Tatort"-Kommissarin - und ihre Figur ist das diametrale Gegenteil zur warmherzigen Wiener Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser): Grosz wirkt wie ein Eisberg, sie ist eine traumatisierte Polizistin mit psychologischen Themen (ihr fast klinisch leeres Appartement spricht Bände) – eine interessante Figur. Kollege Falke (der sich nach dem Abgang von Kollegin Lorenz einen neuen Partner suchen musste) läuft jedenfalls schon in der ersten gemeinsamen Episode mit seinen Witzeleien bei Grosz gegen eine Wand. Diese nüchterne Ignoranz weckt sein Interesse. Und Grosz ist ein anderes Kaliber als Lorenz: Sie ist ihm eine Partnerin auf Augenhöhe.

Regisseur Yildirim gibt Weisz in ihrer ersten Episode Zeit, die Figur als schwierigen Charakter mit undurchsichtiger Geschichte zu etablieren. Wichtiger noch sind ihm aber die Täter, deren emotionale Handlungen er sensibel registriert – ohne Schwarz-Weiß-Malerei. Schlepper Rocky (Christoph Letkowski) ist ein aufmüpfiger, unsicherer Kerl, der für sich und seine schwangere Freundin einen Anteil am Glück will. Cem-Ali Gültekin wirkt als Enis, wenn er seine Gebete murmelt und den Westen in arabischer Sprache verflucht, fanatisch und unheimlich. Das Gespräch mit dem Vater ist auch für ihn berührend. Und wenn das von Gehirnwäschen fortgespülte Mitgefühl hochkommt, spiegelt sein Gesicht die ganze Palette zwischen Enttäuschung, Selbsterkenntnis und Verzweiflung. Ein „Tatort“, wie er sein soll: aktuell und spannend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2016)

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