Mit Außenminister Johnson und Brexit-Minister Davis verliert die britische Regierung zwei Schwergewichte. Nun kämpft auch Premierministerin May um ihr politisches Überleben. Jeremy Hunt wird neuer Außenminister.
London. Die britische Regierung steht vor dem Auseinanderbrechen. Außenminister Boris Johnson erklärte Montagnachmittag seinen Rücktritt, nachdem bereits den gesamten Tag über sein nächstes politisches Manöver spekuliert worden war. Das Amt von Premierministerin Theresa May bestätigte Johnsons Rücktritt. In seinem Rücktrittsbrief schrieb Johnson: „Der Brexit-Traum stirbt, erstickt von unnötigen Selbstzweifeln.“ Alles deutet auf eine hässliche und schmerzhafte Scheidung. Johnsons Nachfolger als Außenminister wird Jeremy Hunt, bisher Gesundheitsminister.
Johnson folgte Brexit-Minister David Davis, der in der Nacht auf Montag seinen Rücktritt erklärt hatte. Das Ausscheiden der beiden Brexit-Hardliner war die Konsequenz eines Regierungsbeschluss am Freitag, wonach sich London gegenüber der EU um einen möglichst weichen Ausstieg aus der Union bemühe wolle. Das war auch Thema beim Staatsbesuch von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei Theresa May.
May hatte zuvor blitzschnell auf den Rücktritt von Davis reagiert und ihn mit dem bisherigen Staatssekretär Dominic Raab ersetzt. Der 44-jährige Konservative hat nicht die ruppigen Manieren des Polit-Haudegen Davis, er teilt mit ihm aber eine tiefsitzende Skepsis gegenüber der EU. May stellte damit wieder das bisherige Kräfteverhältnis im Kabinett zwischen Anhängern eines weichen und eines harten Brexit her. Johnsons Rücktritt hat indes eine völlig andere politische Dimension. Der 54-jährige ehemalige Brüssel-Korrespondent hat aus seinen Ambitionen nie ein Geheimnis gemacht. Nach dem Brexit-Referendum 2016 schien er die Führung der Konservativen bereits in den Händen zu halten, um in letzter Sekunde die Unterstützung des heutigen Umweltministers, Michael Gove, zu verlieren.
Gove könnte nun erneut eine Schlüsselrolle zufallen. Gemeinsam mit Handelsminister Liam Fox ist er einer der beiden führenden Brexiteers im Kabinett. Es wird erwartet, dass die Anhänger eines harten EU-Austritts nun auch Mays Position infrage stellen werden. Für einen entsprechenden Vorstoß müssen 48 der 316 Tory-Abgeordneten einen schriftlichen Antrag stellen. Mit Johnson hätten die radikalen EU-Gegner nun endlich die Leitfigur, die ihnen bisher für eine glaubhafte Herausforderung der Regierungschefin gefehlt hat.
Ruf nach Übernahme durch Johnson
Die Parteibasis liebt Johnson, und er hat mehr Charisma als das gesamte Kabinett May zusammen. Als ernst zu nehmender Politiker hat sich der ehemalige Londoner Bürgermeister in seinen zwei Jahren als Außenminister allerdings rasch selbst zerstört, nicht zuletzt mit seiner „bunten“ Sprachwahl: Die neue Regierungslinie zum Brexit nannte er einen „polierten Scheißhaufen“, vor einer Unterhausabstimmung versteckte er sich in Afghanistan, und auf dramatische Warnungen von Unternehmen wie Airbus, BMW oder Land Rover/Jaguar vor einem harten Brexit erklärte er: „Fuck business.“
May hatte am Freitag bei einer Klausur aller Minister einen weichen Brexit als offizielle Regierungslinie durchgesetzt. London will eine Freihandelszone mit Brüssel für den Güteraustausch nach gemeinsamen Regeln und dafür auch Urteile des Europäischen Gerichtshofs anerkennen. Gleichzeitig soll die Personenfreizügigkeit enden, während für den – wesentlich wichtigeren – Dienstleistungssektor eine detaillierte Position erst erarbeitet werden muss.
May verpflichtete zudem alle Minister zur Eintracht. Wer widerspricht, fliegt, hieß es in der Schlusserklärung. Davis zog daraus die Konsequenzen. Die britische Position sei „nicht haltbar“ und würde „uns zu weiteren Zugeständnissen zwingen“, schrieb er in seiner Rücktrittserklärung.
Ein anderer Hardliner, der konservative Abgeordnete Jacob Rees-Mogg, warnte es werde für May nun schwer werden, ohne Davis ihre Fraktion bei der Stange zu halten. Er gab aber für eine offene Rebellion Entwarnung: „Es geht mir nicht um Personen, es geht mir allein um Inhalte.“ Er begrüßte die Ernennung von Raab, den er als „sehr fähigen Mann“ bezeichnete, fügte aber hinzu: „Entscheidend wird nun sein, wer in Wirklichkeit die Verhandlungen führt.“
Im Fadenkreuz der Brexit-Hardliner stand nämlich Olly Robbins, einer der höchsten Beamten des Landes und – seit seinem Bruch mit Davis – Mays persönlicher Brexit-Berater. Robbins gilt als wahre Macht im Hintergrund, der die Strippen zieht, in ständigem Kontakt mit Brüssel steht und die Premierministerin zum möglichst weichen Ausscheiden aus der EU bekehren konnte.
Robbins war wie Johnson Teil eines Balanceakts, der nun einzustürzen droht. Fraglich, ob May jene Kräfte unter den Tories weiter hinter sich vereinen kann, die ihren Anti-EU-Kurs endlich befriedigt sehen wollen. Die Märkte reagierten derweil nervös, sie fürchten den Sturz der Regierung May. Der Pfund hat bereits an Wert eingebüßt.
Der Zeitdruck
Großbritannien steht bei den Brexit-Verhandlungen unter Zeitdruck. Bis Oktober dieses Jahres müssen die Verhandlungen mit Brüssel beendet werden, damit das Land wie geplant Ende März 2019 aus der EU austreten kann. Denn in den Monaten dazwischen muss der Austrittsvertrag von allen 27 EU-Partnern ratifiziert werden. Kommt es wegen der Umbrüche in der britischen Regierung nun zu Neuwahlen, ist der Zeitplan kaum noch einzuhalten. Dann wäre es theoretisch möglich, dass London eine Verlängerung der Austrittsverhandlungen beantragt. Allerdings müssten diesem Antrag alle 27 Regierungen zustimmen. Ohne politische Gegenleistungen wird das nur schwer möglich sein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2018)