Erdoğan bewundert Özils Vorgehen und spricht von Rassismus. Wer hat das Twitter-Kommuniqué verfasst?
London/Frankfurt. Eine drei Seiten lange Abrechnung in makellosem Business-English bedeutete das Ende der DFB-Karriere von Mesut Özil. Dieser Rundumschlag vor dem Rücktritt sorgte nicht nur insofern für Verwunderung, weil es so gar nicht zum eher introvertiert wirkenden Fußballer passt, sondern der Arsenal-Legionär dieses Schreiben auch nicht selbst verfasst haben kann. Diese Ausführungen sind keine spontane, von Emotionen geleitete Niederschrift. Im Gegenteil: Sie tragen eine höchst professionelle Handschrift.
Zornig brach Özil, 29, sein monatelanges Schweigen zur Erdoğan-Affäre. Er attackierte gezielt den DFB, „die Unfähigkeit von Präsident Reinhard Grindel“. Er verurteilte Medien und Sponsoren, die ihn kritisiert bzw. vorzeitig aus Werbekampagnen gestrichen hatten. Der Verfasser des Schreibens, das Özil am Sonntag vor Arsenals Abflug nach Singapur nur „abgesegnet“ haben kann, ließ kein Stilmittel ungenützt. Selbst die Rassismus-Keule wurde geschwungen.
Wie tief der Einfluss von Beratern mittlerweile reicht, verdeutlicht dieser Fall. Es reicht längst über den Fußballplatz hinaus. Verträge, Gehälter, Transfers, PR – und es endet offenbar beim Verfassen scharfer Kommuniqués.
Die Türkei-Connection
Beraten wird Özil von „Family & Football“, zu deren Klienten auch Ilkay Gündogan (Manchester City) zählt. Auch er war zum Fototermin mit Erdoğan erschienen. Emre Can (Liverpool) hingegen soll diese Einladung laut „FAZ“ abgelehnt haben. Er wird von „International Soccer Management“ begleitet.
Özils Fäden ziehen die Türken Harun Arslan und vor allem Erkut Sögüt, ein Rechtsanwalt, der in London lebt. Dass Arslan auch Joachim Löw berät, der von Özils Rücktritt erst nach der Twitter-Veröffentlichung im Urlaub erfahren haben will, verleiht dem Ganzen noch weitere Brisanz.
Sögüt ist Özils Vertrauter, leitet seit 2012 dessen Einsätze „strategisch“, wie die „Süddeutsche“ bemerkte. Ob über seine Firma, „Özil Management“, die Stiftung oder „ARP Sportmarketing GmbH“ – kein Schritt, keine einzige Aussendung passiert unbedacht; schon gar nicht in Englisch. Für die „Welt“ war das mehr als nur ein Indiz: „Aus eigenem Antrieb hätte Özil diesen Vorstoß kaum gewagt.“
PR-Arbeit wartet jetzt jedenfalls genug. Meinungen, Kritiken und Kontroversen gibt es zuhauf. Viele pro, noch mehr contra Özil. Auch Erdoğan stieg in dieses „Spiel“ erneut ein. Der türkische Präsident stellte sich in der Debatte freilich hinter Özil. „Einen jungen Mann, der alles für die deutsche Nationalmannschaft gegeben hat, wegen seines religiösen Glaubens so rassistisch zu behandeln, ist inakzeptabel“, sagte er am Dienstag zu Journalisten im türkischen Parlament. Er habe mit Özil gesprochen, sein Vorgehen verdiene „jede Art von Bewunderung. Seine Haltung ist national und patriotisch. Ich küsse seine Augen“.
Doch es gibt auch türkisch-stämmige Sportler wie den Boxer Ünsal Arik, die Özil kritisieren. „Alles, was er gerade macht, ist politisch. Er sollte recherchieren, wofür Erdoğan verantwortlich ist, und erklären, warum er diesen Menschen so toll findet“, sagte der 37-Jährige der „FAZ“. Özils Aussage, dass ein politischer Führer getrennt von der Person betrachtet werden könne, verurteilte der Superweltergewichts-Europameister. „Eine dümmere Aussage habe ich noch nicht gehört. Das hieße, der Präsident darf alles. Unschuldige einsperren, Kriege führen, und ich muss ihn immer unterstützen?“
Dass Özil das Foto mit dem Politiker nur aus Respekt vor dem Land seiner Familie machte, sei bloß „eine billige Ausrede“. (fin)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2018)