Die Schuhmacherin aus Venedig: Arbeiten im Urlaub für die Kultur

Gmeiner verschafft den Künstlern nicht nur optisch den richtigen Stand auf der Bühne.
Gmeiner verschafft den Künstlern nicht nur optisch den richtigen Stand auf der Bühne.(c) Wildbild
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Gabriele Gmeiner sperrt im Sommer ihre Maßschuhwerkstatt in Venedig zu, um bei den Salzburger Festspielen zu arbeiten.

Der Tod im „Jedermann“ braucht gutes Schuhwerk. Sonst würde er sich in jener Szene, in der die Bühne angesichts des nahenden Endes plötzlich wegkippt, nicht auf den Beinen halten können. Peter Lohmeyer schafft das. Nicht nur, weil er akrobatisch geübt ist. Damit er auf der schräg stehenden Bühne besseren Halt hat, hat er Klettersohlen an seinen Schuhen. Besohlt hat die Schuhe Gabriele Gemeiner mit ihrem Team. Die gebürtige Vorarlbergerin leitet die Schuhmacherei in den Werkstätten der Salzburger Festspiele. Gemeinsam mit vier anderen Schuhmachern sorgt sie dafür, dass die Festspielkünstler guten Stand haben. „Die Schuhe sind die Basis. Wer gute Leistung bringen will, braucht auch eine gute Basis“, lautet das Credo der Handwerkerin.

Normalerweise arbeitet Gmeiner in Venedig. Dort hat sie vor 15 Jahren in San Polo eine kleine Werkstatt eröffnet. „Ich mache rahmengenähte Maßschuhe“, erzählt sie. In ihre Werkstatt kommen Menschen aus aller Welt, die den Wert maßgeschneiderter Schuhe zu schätzen wissen. Und sie sind bereit, lange auf die Schuhe zu warten. Bis ein Maßschuh fertig ist, vergehen Monate.

„Ich mache Porträts von Füßen“, sagt Gabriele Gmeiner über ihre Arbeit. Schon in der Schulzeit wollte sie Bildhauerei machen. Doch in der Familie gab es niemanden, der ihr das Künstler-Sein vorgelebt hätte. So entschied sie sich nach der Matura für das Handwerk als angewandte Kunst und kam auf die Schuhmacherei. „Das hat auch etwas mit bildender Kunst zu tun“, sagt sie über ihre Wahl. Sie lernte das Handwerk, ging auf die Walz und landete irgendwann in Venedig.

Mehr als ein Sommerjob. Ihre Liebe zur Kunst führte sie zu den Salzburger Festspielen. Jeden Sommer sperrt sie ihre kleine Werkstatt für ein paar Wochen zu, um für das Festival zu arbeiten. Die Gegensätze zwischen ihrer Arbeit in Venedig und jener in Salzburg könnten nicht größer sein. Für die rahmengenähten Maßschuhe braucht es Zeit, alles ist handgemacht. In Salzburg muss alles schneller gehen. Die Schuhmacher machen nicht nur Maßanfertigungen, sondern adaptieren auch Fabrikschuhe für die Bühne. Die Klettersohle für den Tod im „Jedermann“ ist so ein Beispiel. Die Chöre, die in den Opern auftreten, erhalten Schuhe mit Flüstersohlen, damit beim Auftritt nichts zu hören ist. Maßschuhe gibt es nicht nur für die großen Stars. Auch Chorsänger, die das lange Stehen in normalen Schuhen schlecht aushalten, bekommen Einzelanfertigungen, wenn sie das benötigen.

Die Kostümbildner geben oft genau vor, wie die Schuhe für eine Rolle auszusehen haben. Die Schuhmacher setzen diese Vorgaben dann um. Oft müssen neue Schuhe künstlich auf Alt getrimmt werden, damit es zur Rolle passt. „Ein Soldat, der aus der Schlacht kommt, kann nicht mit glänzenden Schuhen daherkommen“, erzählt Gmeiner. Da wird dann mit Schleifpapier und Farbe für die nötige Patina gesorgt.

Es gibt aber auch Kunstgriffe, die man nicht sieht, aber vielleicht hört: den Tenorabsatz. „Manche Tenöre kämpfen um jeden Zentimeter“, erzählt die Schuhmacherin. Da wird im Schuhinneren unauffällig ein kleiner Aufbau gemacht, um den Sänger etwas größer erscheinen zu lassen.

Die Vorarlbergerin liebt die Arbeit in der Werkstatt der Festspiele, weil sie so vielfältig und abwechslungsreich ist. Gmeiner nützt die Zeit in Salzburg auch, um sich möglichst viele Produktionen anzusehen. Theater und Oper sind ihre Leidenschaft. Die Wochen in Salzburg sind ihr aber auch privat wichtig: Es ist eine gute Zeit, um ihrem sechsjährigen Sohn die österreichische Heimat näherzubringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2018)

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