Haialarm im Sommerkino: Groß, aber zahnlos

Sein Vorbild, der Carcharocles megalodon (wahrscheinlich aus der Familie der Makrelenhaie), lebte bis vor 2,6 Millionen Jahren, nun treibt „The Meg“ in den Kinos sein Unwesen.
Sein Vorbild, der Carcharocles megalodon (wahrscheinlich aus der Familie der Makrelenhaie), lebte bis vor 2,6 Millionen Jahren, nun treibt „The Meg“ in den Kinos sein Unwesen.(c) Warner
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Seit „Der weiße Hai“ zählen Schrecken des Meeres zu den beliebtesten Kinomonstern – wiewohl die Filme, in denen sie mitspielen, immer schlechter werden. Nun reißt „The Meg“ das Maul auf, sein Biss lässt aber zu wünschen übrig.

Ohne Haie wäre das moderne Kino nicht das, was es ist. Der Megablockbuster mit seinem Anspruch allumfassender Massenbespaßung hat seinen Ursprung in den 1970er-Jahren – namentlich in Steven Spielbergs New-Hollywood-Klassiker „Der weiße Hai“. Dieser beeindruckende Mix aus B-Movie-Basis, cleveren Monstereffekten, knalligem Actionthriller und kraftvollem Charakterdrama war einer der ersten Versuche der Traumfabrik, ein Universalpublikum anzusprechen, wofür alle Marketingregister gezogen wurden. Eine Flut an TV-Werbespots, in denen man den titelgebenden Hai nie richtig zu sehen bekam, schürte zu John Williams' „Dundun“-Drohkulissen-Ostinato die Angstlust des Publikums: „God created the devil and gave him? JAWS!“

In „Jaws“ zeigt sich der Hai erst spät

Und das, obwohl die Zähne des Fisches im Film nur sporadisch aufblitzen. Als sich der Wunsch der Produzenten, einen echten Hai für ihr Projekt zu dressieren, als illusorisch erwies, ließ Spielberg drei maßstabsgetreue mechanische Modelle anfertigen – die ihm einige Probleme brachten: Eines versank im Meer, ein anderes erlitt im Salzwasser einen Motorschaden. Spielberg machte aus der Not eine Tugend und besann sich auf Alfred Hitchcocks Glauben an die Macht der Suggestion: Im Endprodukt zeigt sich der Hai erst nach über einer Stunde in seiner vollen Pracht, was den Nervenkitzel nur steigert.

In den USA lief „Der weiße Hai“ an einem heißen Freitag im Juni 1975 zeitgleich in 409 Kinos an – und brach alle Kassenrekorde. Der Sensationserfolg läutete eine neue Ära des Filmgeschäfts ein, in der Werbekampagnen und strategisch gewählte Starttermine oft wichtiger sind als alles andere. Diese Ära hält bis heute an, ihr Wappentier tauchte recht schnell wieder unter: Keinem Haifilm nach Spielbergs Durchbruchswerk wurde je vergleichbare finanzielle Ausbeute oder kritische Anerkennung zuteil. Der Schrecken der Meere wurde auf die Ramschkino-Reservebank relegiert.

Davon zeugen schon die Fortsetzungen zum „weißen Hai“: Der zweite Teil wurde noch halbwegs ernst genommen, der dritte (in 3-D!) wurde recht schlecht rezensiert, der vierte („Jaws: The Revenge“) ist inzwischen zum Trash-Kultobjekt avanciert. Schauspielgröße Michael Caine, der darin einen Piloten spielt, kommentierte ihn so: „Ich habe ihn nicht gesehen – was man so hört, soll er ziemlich furchtbar sein. Was ich sehr wohl gesehen habe, ist das Haus, das ich ihm verdanke, und das ist ganz wunderbar.“

Schrottspektakel „Sharknado“

Die Simplizität und unverblümt reißerische Note des Haifilm-Grundkonzepts – kreischende, oft leicht bekleidete Menschen flüchten vor schnappendem Riesengebiss – ließen das Genre in Zeiten des Internets zum Treppenwitz des Schundkinosektors verkommen. Spätestens seit der US-Spartensender Syfy mit seinem selbstironischen Schrottspektakel „Sharknado“ (2013) einen Überraschungshit landete, schießen Riesenfisch-Billigfilme fürs Heimkino wie Pilze aus dem Boden. Im Netz finden sich etliche Listen mit den „schlechtesten Haifilmen aller Zeiten“, darunter Titel wie „Ghost Shark“, „Dinoshark“ und „Mega Shark vs. Giant Octopus“: Je dümmer der Name und je mieser die Effekte, desto besser. Manche dieser Kuriositäten wurden übrigens von Hollywood-Legende Roger Corman mitproduziert – eine Ironie, wenn man bedenkt, dass dessen anarchische Dreh- und Vermarktungsmethoden in den Sechzigern wegweisend für Spielberg und Konsorten waren.

Realistisch: „Open Water“

Der Abwertung der Marke zum Trotz versuchen sich Studios und Filmemacher ab und zu an Haifilmen abseits der Wühlkiste: Renny Harlins „Deep Blue Sea“ (1999) bleibt vor allem wegen einer Szene in Erinnerung, in der Samuel L. Jackson mitten im Satz von einem hungrigen Ozeanmampfer hopsgenommen wird. Die Low-Budget-Produktion „Open Water“ (2003) setzte auf Realismus und Reduktion, ließ zwei Taucher 80 Minuten lang auf offenem Meer treiben, umkreist von ominösen Flossen. Zuletzt bemühte sich der Thriller-Spezialist Jaume Collet-Serra im ruppigen Überlebensdrama „The Shallows“ (2016) um eine Revitalisierung des Genres, driftete aber allzu schnell in unglaubwürdige Gewässer ab.

Seit Donnerstag läuft nun wieder ein richtiger Revolvergebiss-Blockbuster in den heimischen Kinos: Er heißt „The Meg“, wurde vom „Cool Runnings“-Regisseur Jon Turteltaub inszeniert und verspricht auf Plakaten und anderswo feucht-fröhliche Sommerkinounterhaltung der sinnbefreiten Sorte: Ein Hai, so groß wie fünf Wale, schluckt Bademodenträger im Akkord. So jedenfalls die Erwartung, die jedoch nur bedingt erfüllt wird: Stattdessen bekommt man eine etwas ungelenke Mischung aus trashigem C-Movie und ernstem Survivaldrama mit Umweltschutzbotschaft serviert, die nur selten packen kann. Was bei Spielberg virtuos gelöst war, geht hier nicht einmal ansatzweise auf.

Wie unlängst der Katastrophenfilm „Skyscraper“ ist „The Meg“ eine chinesisch-amerikanische Koproduktion – und ähnelt diesem auch im Aufbau: Ein traumatisierter Draufgänger (dort Dwayne Johnson, hier Jason Statham) wird in den fernen Osten beordert, wo er Urgewalten Paroli bieten muss: Dort war es ein Hochhausbrand, hier ist es ein gigantischer Urzeitfisch, den es wirklich gegeben hat – Meg steht für Megalodon.

Der Megalodon frisst nicht viel

Mit dessen Enthüllung wartet der Film nicht allzu lang, dafür aber mit der Einlösung erhoffter Monsterfilmfreuden: Zunächst bleiben die Angriffe des mehrheitlich computeranimierten Titeltiers trotz Übergröße eher kleingeistig, die Actionsequenzen fast bodenständig – und ausnahmsweise wünscht man sich, dass den Figuren, schablonenhaften Meeresforschern, weniger Aufmerksamkeit geschenkt würde. Gegen Ende, als das Ungeheuer auf einen Badestrand zusteuert, horcht man kurz auf – doch die große Fressorgie bleibt aus. Was im Grunde nur ein Problem ist, weil sich der Film zu keiner der ihm zur Verfügung stehenden Genreoptionen bekennt, den Fuß immer nur kurz ins jeweilige Becken taucht, ohne hineinzuspringen. Kurz: Er ist weder Haifisch noch Fleisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2018)

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