Brückeneinsturz in Genua: Ponte Morandi seit Jahren kritisiert

Die Brückentrümmer fielen auf ein Gewerbegebiet.
Die Brückentrümmer fielen auf ein Gewerbegebiet.APA/AFP/ITALIAN POLICE/HANDOUT
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Etwa 100 Meter der Brückenkonstruktion krachen 40 Meter in die Tiefe, mit ihr Dutzende Autos. In den Trümmern kommen mindestens 35 Menschen ums Leben. Die Ferienzeit verhinderte Schlimmeres.

Das Bild wackelt, zu sehen sind graue Trümmer, Regen und eine Straße, die ins nichts führt. „O dio, o dio, o dio“, schreit ein Mann fassungslos im Hintergrund des Videos, das ein Augenzeuge mit seinem Handy aufgenommen hat. Am Dienstagmittag ist im norditalienischen Genua eine vierspurige Autobahnbrücke eingestürzt. Mindestens 35 Personen kamen dabei ums Leben, berichtet die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf die Feuerwehr. Zahlreiche weitere Menschen wurden verletzt. 20 Autos sollen von der Fahrbahn in die Tiefe gestürzt sein. „Wir sehen da unten in den Trümmern Autos, die noch die Scheinwerfer anhaben“, erzählt wenige Minuten später ein Augenzeuge dem Radiosender „Rai uno“. „Es ist eine Katastrophe. Ich habe für das, was ich hier sehe, keine Worte.“

Elf Überlebende seien aus den Trümmern geborgen worden, sagte Bürgermeister Marco Bucci dem Fernsehsender SkyTG24. Unter den Toten soll auch ein Kind sein. Die Augenzeugen erzählen von regem Verkehr, der auf der Ponte Morandi herrschte, als diese rund 40 Meter hohe Brücke um kurz vor zwölf Uhr mittags auf einer Länge von etwa 100 Metern eingestürzte. In ganz Italien herrscht derzeit Ferienverkehr: An diesem Mittwoch ist Ferragosto, Mariä Himmelfahrt, der wichtigste Feiertag, der in Italien traditionell am Meer verbracht wird.  

Angelo Borelli, der Leiter des italienischen Zivilschutzes sagte, die Toten seien bisher alle in Fahrzeugen gefunden worden, die in die Tiefe gestürzt seien. Zwei Lagerhäuser unterhalb der Unglücksstelle seien wegen der Ferien geschlossen, so dass sich dort niemand aufgehalten habe. Wohnhäuser seien von dem Einsturz der Brücke nicht betroffen, so Borrelli.

Spekulationen über Unglücksursache

Über die Gründe des Einsturzes der Brücke wurde am Dienstag bereits spekuliert. In einigen italienischen Medien hieß es, es sei wegen des Unwetters, das zum Zeitpunkt des Einsturzes über Genua wütete, zum Einsturz gekommen. Auch soll kurz zuvor ein Blitz in die Brücke eingeschlagen sein. Auch auf dem Handyvideo eines Augenzeugen ist ein weißer Lichtstrahl zu sehen. Ob es sich aber um einen Blitz handelt, oder ob dieser durch den Einsturz entstand, ist nicht zu erkennen.

Auch über strukturelle Probleme des Ponte Morandi wurde diskutiert, der im Jahr 2016 saniert wurde. Die Brücke, die über den Fluss Polcevera, Gleisanlagen und ein Wohn- und Gewerbegebiet führte, wurde am 4. September 1967 nach vierjähriger Bauzeit eingeweiht. Benannt ist sie nach dem italienischen Ingenieur Riccardo Morandi, der die Schrägseilbrücke entworfen hat. Sie ist der dritte Zwilling neben der General-Rafael-Urdaneta-Brücke in Venezuela und der Brücke über das Wadi al-Kuf in Libyen, die ebenfalls von Morandi geplant wurden. Gebaut wurde die Brücke, die auch als Polcevera-Viadukt bekannt ist, zwischen 1962 und 1967 von der Società Italiana per Condotte d’Acqua. Diese war am Dienstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Arbeiten am Fundament

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Doch die Betreibergesellschaft Autostrade per Italia teilte nach dem Unglück auf ihrer Internetseite mit, dass an der Sohle der Brücke derzeit gearbeitet wurde, um das Fundament der Fahrbahn zu verstärken. Auf der Brücke selbst habe ein Baukran gestanden. „Die Arbeiten und der Gesamtzustand der Brücke wurden ständig überwacht“, heißt es in der Mitteilung. Die Ursache werde gründlich untersucht, sobald die Unglücksstelle sicher betreten werden könne. Edoardo Rixi, Staatssekretär im Verkehrsministerium, sagte in einem Interview mit dem Nachrichtensender SkyNews24: „Es ist inakzeptabel, dass eine so wichtige Brücke nicht in einer Art und Weise gebaut war, dass ein Einsturz ausgeschlossen ist.“

Klar ist: Die Brücke stand seit Jahren unter Beobachtung – und auch seit Langem in der Kritik. „Das Ingenieurswesen ist beim Ponte Morandi gescheitert“, sagte Antonio Brencich, Dozent an der Universität für Ingenieurswissenschaften in Genua. Allerdings sagte er das bereits 2016. „Früher oder später muss diese Brücke ersetzt werden. Es wurden bereits so viele Instandhaltungsarbeiten geleistet, dass es langsam günstiger wäre, etwas Neues zu bauen“, so der Experte.

Seil-Verbindungen aus Beton

„Das Problem des Ponte Morandi ist, dass die Verbindungen der Seile aus Beton sind und nicht aus Metall“, sagte Diego Zoppi, Mitglied des Nationalen Rates der Architekten am Dienstag. „In den 1960er Jahren hat man nicht in Betracht gezogen, dass Beton sich absenkt und dann zusammenfällt. Vor 50 Jahren hatte man noch alles Vertrauen in den Beton gesteckt – auch darin, dass er ewig hält. Heute weiß man, dass er nur wenige Jahrzehnte überdauert.“

Die Brücke, die Teil der Autobahn 10, der berühmten Urlaubsverbindung „Autostrada dei Fiori“ entlang der Riviera war, war eine wichtige Verkehrsachse für Genua. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung des Hafens, sind auch vermehrt Schwertransporte über die Brücke transportiert worden. Ein weiterer Punkt, der Spekulationen über die Einsturz-Ursache anheizt. Doch am Dienstag sind vor allem Trauer und Fassungslosigkeit groß und über Ursachen wollen viele noch nichts wissen.  „Non c‘è piu il ponte", sagt ein Retter. „Die Brücke gibt es nicht mehr".

"Verantwortlichen werden büßen müssen"

Danilo Toninelli, Verkehrsminister von der Fünf-Sterne-Bewegung, schrieb über den Kurznachrichtendienst Twitter, der Einsturz sein „eine riesige Tragödie“. Das Unglück belege außerdem den maroden Zustand der italienischen Infrastruktur und die Wartungsmängel, sagte er später in einem Fernsehinterview und fügte hinzu: „Die Verantwortlichen werden dafür büßen müssen.“ Das Verkehrsministerium überlege, Klage gegen den Autobahnbetreiber Autostrade einzureichen. „Der tragische Vorfall in Genua erinnert uns daran, wie dringend wie öffentliche Investitionen benötigen“, sagte Claudio Borghi, der wirtschaftspolitische Sprecher der rechten Lega, mit der die Fünf-Sterne-Bewegung seit Juni die Regierung in Italien führt. Diese war angetreten, mit dem Versprechen, die öffentlichen Investitionen zu erhöhen, obwohl Italien unter einem Schuldenberg von 2300 Milliarden Euro ächzt.

Das Unglück von Genua ist leider kein Einzelfall. Immer wieder gibt es in Italien Berichte über marode Straßen und Brücken. Im März 2017 war die Brücke über die Autobahn A 14 während Instandhaltungsarbeiten eingestürzt, zwei Menschen starben. Wenige Monate zuvor war Ende Oktober 2016 in Norditalien eine Schnellstraßenüberführung Zwischen Mailand und Lecco in sich zusammengebrochen, nachdem ein genehmigter Schwertransporter darüber gefahren war.

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