„Let's Keep It“: Raubgut im Griff der Republik

Villach unter dem Hakenkreuz: Czeitschner verarbeitet in ihrem Film auch die Geschichte ihres Großvaters, der bei den Enteignungen mitspielte.
Villach unter dem Hakenkreuz: Czeitschner verarbeitet in ihrem Film auch die Geschichte ihres Großvaters, der bei den Enteignungen mitspielte.(c) Burgl Czeitschner
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In „Let's Keep It“ dokumentiert die Historikerin Burgl Czeitschner akribisch den Umgang des Staats mit „arisierten“ Immobilien. Ab Freitag im Stadtkino.

Ein Kapitel österreichischer Restitutionsgeschichte geht gerade zu Ende: Die unabhängige Schiedsinstanz für Naturalrestitution, die dafür zuständig war, zu bewerten, ob Liegenschaften, die in der NS-Zeit ihren Besitzern geraubt worden waren und dann in Besitz der Republik übergingen, zurückgegeben werden sollen, legt im Herbst ihren Schlussbericht vor.

Einen Einblick in die Restitutionspraxis bietet aber schon jetzt ein Film, mit dem das Stadtkino Wien heute in die Saison startet: „Let's Keep It“ von der Historikerin und Journalistin Burgl Czeitschner erzählt von Häusern und Wohnungen, deren früheren und aktuellen Bewohnern, und vor allem: vom Bestreben Österreichs, diese möglichst behalten zu können. Der Film schildert den langen Weg, bis jene Schiedsinstanz überhaupt ihre Arbeit beginnen konnte, und die Einschränkungen, die von Anfang an die Aufarbeitung erschwerten. Schon der erste Kanzler der Republik, Karl Renner, der selbst in einer „arisierten“ Villa wohnte, habe seine Regierung angewiesen, sie solle „nur so tun, als ob sie die jüdischen Nazi-Opfer entschädigen wolle“.

Als das Washingtoner Abkommen Österreich 2001, in der Ära Schüssel, verpflichtete, einen Entschädigungsfonds und jene Schiedsinstanz einzurichten, wurden gesetzliche und bürokratische Hürden gleich miterrichtet. Mit Folgen: Bei rund 2300 Anträgen wurden nur 60 Empfehlungen zur Rückgabe ausgesprochen. Früher habe der Wille gefehlt, das Unrecht durch die Nazis wiedergutzumachen, sagt Czeitschner am Anfang des Films. Ob sich daran im Lauf der Jahrzehnte etwas geändert habe? Man ahnt, zu welchem Schluss der Film kommen wird.

Bis dahin fächert Czeitschner zahlreiche Fälle auf, dicht und äußerst anschaulich fügt sie Lokalaugenscheine, Akten, Interviews und historisches Filmmaterial zu einem außergewöhnlichen Film zusammen. Man müsste ihn mit der Fernbedienung in der Hand sehen, um, immer wieder zurückspulend, jedes akribisch recherchierte Detail zu erfassen (vieles kann man auf letskeepit.at nachlesen). Doch auch so bleiben einige Momente in Erinnerung. Die Aufnahmen von Ellen Illich etwa, die ihre Vertreibung aus der Pötzleinsdorfer Villa mit der Kamera gefilmt hat: die Blumensträuße zum Abschied von den Nachbarn, die Möbel im Lkw, die grinsenden Beamten nach vollzogener „Arisierung“.

Völlig neues Licht auf Paula Wessely

Oder Schwenks über das Erholungsgebiet Himmelteich in Aspern, wo Helmut Zilk in Erinnerung an die 65.000 Wiener Holocaust-Opfer ebensoviele Bäume pflanzen ließ. Das Grundstück gehörte einem vertriebenen Ehepaar; den Erben hätte die Stadt es zurückgegeben – unter der Auflage, das Naturschutzgebiet, zu dem es geworden war, zu pflegen. Das konnte die in Australien lebende Hundertjährige nicht. Sie starb wenig später, ihre Nachkommen bekamen etwas Geld, den Himmelteich behielt die Stadt.

Am bemerkenswertesten ist wohl die Geschichte der Paula Wessely, die ihr Engagement während der Nazizeit (etwa im Propagandafilm „Heimkehr“) nie mehr abschütteln konnte. Als Profiteurin galt sie in der öffentlichen Meinung, als „Minderbelastete“ in der Kategorisierung der Besatzungszeit. Dass sie von den nationalsozialistischen Gesetzen profitiert haben könnte, legt auch eine Investition von 1941 nahe: Gemeinsam mit ihrem Mann, Attila Hörbiger, kaufte sie mit „Ariernachweis“ eine Haushälfte in Pötzleinsdorf, die der jüdischen Familie Kalbeck gehört hatte. „Doch Paula Wesselys Geschichte muss völlig neu erzählt werden“, sagt Czeitschner im Film: Die Kalbecks waren enge Freunde der Wessely, und diese hatten ihnen versprochen, ihr Haus vor den Nazis zu schützen. Beim Arisierungswahnsinn der Nazis machte sie nur zum Schein mit – und verlor auch später kein Wort darüber. Heute wohnt in dem Haus der Enkel der Kalbecks. Dieser kann es noch immer nicht ganz glauben: In der jüdischen Gemeinde kenne er keine einzige Familie, die im Haus ihrer Vorfahren wohnen könne.

Die meisten Geschichten gehen nicht so gut aus. Es wird von Erben erzählt, denen anstelle des geraubten Hauses nur eine Entschädigung für verlorenes Mobiliar angeboten wurde. Von Fällen, in denen die Republik versuchte, ein Haus noch schnell zu verkaufen, um es nicht restituieren zu müssen. Und von Czeitschners eigener Familiengeschichte – ihr Großvater war als Kärntner Bürgermeister an den „Arisierungen“ beteiligt.

Der Film zeigt manches plakativ, mit groben „Abgelehnt!“-Stempeln, einem Hakenkreuz, das über Villach aufgeht oder Häusern, die förmlich ausradiert werden. „Let's Keep It“, von Czeitschner privat finanziert, wird exklusiv im Stadtkino gezeigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2018)

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